Zitat1. Einleitung Wer bin ich? Diese Frage stellt sich jeder – mal mehr, mal weniger bewusst. Die persönliche Identität, das Gefühl von Gleichheit und Beständigkeit, das Wissen wer man ist, wo man hingehört, ist eine zentrale Angelegenheit im Leben. Die Eckpunkte der persönlichen Identität lassen sich einfach ausmachen, so sind uns unser Name, Geburtstag, Geburtsort, Eltern, Großeltern, Geschwister selbstverständlich bekannt. Viele andere Dinge, die unsere persönliche Identität ausmachen, uns unverwechselbar machen, kommen im Laufe des Lebens dazu. Am Ende der Pubertät sollte laut Erik H. Erikson jeder das Gefühl einer stabilen Identität erreichen. Dies drückt er mit dem folgenden Satz, der für die Adoleszenz charakteristisch ist, aus: „Ich bin ich selbst. Das heißt: Ich bin die Person, die ich in meinen eigenen Augen bin, und ich bin die Person, für die mich die anderen halten.“ (Erikson 1980, S. 136)
Für Menschen, die adoptiert wurden, ist die Beantwortung dieser Frage nicht so einfach. Sie wissen meist nicht viel über ihre leiblichen Eltern, manchmal nicht einmal, dass sie nicht leibliches Kind ihrer sozialen Eltern sind. Die meisten fühlen sich emotional stark mit ihren Adoptiveltern verbunden und sehen diese als ihre „richtigen“ Eltern an und doch fehlt ihnen das Wissen um den Anfang ihres Lebens. Sollte man nicht einfach dem Adoptierten verschweigen, dass er adoptiert ist und ihm so viel Leid ersparen? Dies ist schon aus rechtlichen Gründen undenkbar, denn jeder hat einen gesetzlichen Anspruch (vgl. Artikel 1 und 2 Grundgesetz) darauf zu wissen, wer seine Vorfahren sind. Außerdem stände immer etwas zwischen Eltern und Kind. Informationen können zwar zurückgehalten werden, aber die Gefühle und die Atmosphäre, die damit verbunden sind, lassen sich nicht verstecken. Das Familienverhältnis kann damit empfindlich gestört werden.
Viele Adoptierte haben damit zu kämpfen, dass sie von ihren leiblichen Eltern weggegeben wurden, fühlen sich nicht liebenswert und wissen nicht, zu wem sie gehören. Ein Adoptierter drückt seine Gefühle in Sorosky u. a. (1978, S.117) folgendermaßen aus: „Adoptiert zu sein und nichts von seiner eigenen Herkunft zu wissen ist, als ob man blind durch den Nebel fliegt.“ Eine stabile Identität ist es, die uns stark macht und uns Herausforderungen annehmen lässt. Ein schwaches Identitätsgefühl kann uns behindern, die Fähigkeit einschränken, neuen Anforderungen entgegen zu treten und mit anderen in Kontakt zu kommen. Adoptierte sind oft stark damit beschäftigt sich in der Vergangenheit aufzuhalten, um ihre Herkunft, ihre Wurzeln zu finden. Dies kann dazu führen, dass sie wie gelähmt sind, sich nicht vorwärts in die Zukunft bewegen können, sich isoliert und einsam fühlen.
Kinder die zur Adoption freigegeben werden, werden von Sozialarbeitern in eine neue Familie vermittelt. Diese neue Familie ist maßgeblich an der Identitätsentwicklung des Kindes beteiligt und sollte dem Kind Halt, Sicherheit und Anerkennung zuteil werden lassen. Eine gewissenhafte Auswahl durch den Sozialarbeiter ist also sehr wichtig. Die Mütter, die ihr Kind weggeben, werden auch von diesem Sozialarbeiter betreut, der darüber hinaus für die potenziellen Eltern zuständig ist. Damit wird er zu einer sehr wichtigen Person im Adoptionsgeschehen. Er trägt die Verantwortung dafür, dass geeignete Eltern für ein Kind gefunden werden. Dabei steht für ihn immer das Wohl des Kindes an erster Stelle. Über diese wichtige Rolle muss sich der Sozialarbeiter im klaren sein, denn seine Entscheidungen beeinflussen die Identität und das weitere Leben aller Beteiligten.
Wie entsteht nun das Gefühl der Identität und welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für den Adoptierten? Diese Frage werde ich in Kapitel fünf meiner Diplomarbeit bearbeiten.
Bevor ich allerdings diese Fragen angehe, werde ich meine Arbeit damit beginnen, einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Adoption zu geben. Dies soll dazu beitragen, in das Thema Adoption einzuführen und ihren Stellenwert im gesellschaftlichen Kontext vergangener und heutiger Zeit zu verdeutlichen. Daran anschließend werde ich das Adoptionsrecht, im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert und 1977 reformiert, sowie das Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG), welche hauptsächlich die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung von Adoptionen in der Bundesrepublik und somit die Arbeits- und Entscheidungsgrundlage für die Adoptionsvermittlungsstellen bilden darstellen. Der anschließend beschriebene Ablauf eines Adoptionsverfahrens soll das komplexe Geschehen im Adoptionsverfahren veranschaulichen. Die Darstellungen der Inkognitoadoption und der offenen Adoption sollen einen Einblick in die verschiedenen Adoptionsformen geben. Dieses Kapitel werde ich mit der Auseinandersetzung über die Rolle des Sozialarbeiters im Adoptionsprozess abschließen. Im dritten Kapitel werde ich mich ausführlich mit den Beteiligten des Adoptionsdreiecks auseinandersetzen. Um eine Vorstellung darüber zu bekommen, wer sein Kind abgibt und wer ein fremdes Kind aufnimmt, werden sowohl abgebende als auch annehmende Eltern betrachtet. Es soll ein Überblick über die Lebenslagen der Beteiligten und ihrer Beweggründe zur Adoption ermöglicht werden. Die damit verbundenen Gefühle und auch die besonderen Herausforderungen werden Beachtung finden. Anschließend werde ich mich der Situation des Adoptivkindes annehmen und seine spezielle Lebenssituation, die Gefühle, die mit der Aufklärung einhergehen und die Bedeutung des Adoptiertseins darstellen. Am Ende dieses Kapitels soll das sich aus den drei Parteien ergebende Spannungsfeld dargestellt werden, um die Auswirkungen dieser Dreieckssituation auf das Adoptivkind zu verdeutlichen. Anschließend werden die Lebensphasen des Adoptierten vorgestellt, um dann, wie bereits angekündigt, auf die Identitätsentwicklung näher einzugehen. Abschließend werde ich mich mit den sozialarbeiterischen Begleitmöglichkeiten auseinander setzen.
Um den Rahmen der Diplomarbeit einhalten zu können, werde ich nicht näher auf Adoptionen im Ausland und auf Stiefkindadoptionen eingehen.
Zuletzt möchte ich darauf verweisen, dass ich mich aus Gründen der Leserlichkeit dazu entschlossen habe, im Text jeweils nur ein Geschlecht zu nennen. Natürlich sind immer beide Geschlechter zugleich gemeint.
2. Die Adoption Adoption ist neben der Geburt die häufigste Art eine Familie zu gründen. Trotzdem hat sie im gesellschaftlichen Ansehen nicht den gleichen Stellenwert. Adoption wird als Lösung zweiter Wahl angesehen. Erst dann, wenn kein leibliches Kind geboren wird, aus welchen Gründen auch immer, kommt eine Adoption für einige Paare infrage. Die frühen Formen der Adoption waren hauptsächlich von den Wünschen und Ansprüchen der Annehmenden geprägt, so sollte beispielsweise der Name der Familie und/ oder der Familienbetrieb gesichert werden. Die Adoptiveltern konnten sich ein Kind aussuchen, das ihren Bedürfnissen entsprach. So durften auch nur die Kinder zur Adoption freigegeben werden, deren Gesundheits- und Entwicklungsstand ihrem Alter angemessen waren. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Adoption allerdings zu einer Jugendhilfemaßnahme, die das Kindeswohl in den Vordergrund rückte. So werden heute keine Kinder mehr für Eltern gefunden – sondern Eltern für Kinder. [...]