zur SendungshomepageFilm von Ulrike Brincker „Es hat irgendwo immer etwas gefehlt" sagt Erika Thesenvitz. „Du wusstest, da war noch jemand, da ist noch jemand, da lebt noch jemand. Ein Kind, das du selber hättest großziehen können." Der Film erzählt die Geschichten von Müttern und Kindern, die zu DDR-Zeiten unfreiwillig getrennt wurden und sich oft erst 20 Jahre später wieder gegenüberstanden. Nach Jahren der Trennung aber waren aus dem Sohn, der Tochter, der Mutter Fremde geworden, die in den seltensten Fällen noch zueinanderfinden. Zu groß sind die gegenseitigen Erwartungen, zu stark manchmal auch die Bindung an die Adoptivfamilien. Meistens sind alle Beteiligten überfordert, viele reagieren mit Rückzug. Erika Thesenvitz hat ihren Sohn deshalb „ein zweites Mal verloren. Aber immerhin weiß ich, wie er aussieht und wo er wohnt." Zwischen 1950 und 1990 gab es circa 75.000 Adoptionen in der DDR. Die meisten dienten sicher dem Wohl der Kinder, doch gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl von Fällen, in denen Eltern das Erziehungsrecht aberkannt wurde, um sie gesellschaftlich oder politisch zu maßregeln. Eltern in der DDR hatten laut dem Familiengesetzbuch die Pflicht, ihre Kinder „zur sozialistischen Einstellung zum Leben und zur Arbeit" zu erziehen. Kamen sie dieser Aufgabe nach Ansicht der Behörden nicht nach, konnte der Staat eingreifen. Wie viele Familien oder auch Geschwister durch das DDR-Regime auseinandergerissen wurden, lässt sich heute nur mutmaßen. Eindeutig dokumentiert sind nur wenige Zwangsadoptionen - so wie die von Arne Grahm. Seine Mutter beging in den 60er Jahren „Republikflucht", ihr Sohn wurde wenig später unter neuer Identität in eine DDR-Familie gegeben. In anderen Fällen ist die Aktenlage schwieriger, meist ist von „Asozialität" der Mutter die Rede. Unter diesem Vorwurf wurde auch Katrin Behrs Mutter vor den Augen ihrer beiden Kinder verhaftet. Sie hatte von heute auf morgen keinen Kindergartenplatz mehr und konnte nicht zur Arbeit gehen. Wer sich aber einer geregelten Arbeit entzog und damit „das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigte", musste laut § 249 des DDR-Strafgesetzbuches mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren rechnen. Katrin, damals vier Jahre alt, kam zunächst in ein Kinderheim, dann zu linientreuen Genossen. „Ich habe immer gesagt, eines Tages werde ich meine Mutti wiedersehen. Immer. Das habe ich all die Jahre gesagt. Und ich habe auch jeden Tag an meine Mutti gedacht", so Katrin Behr, der man als Kind eingetrichtert hatte, dass ihre leibliche Mutter sie nicht gewollt habe. Die Dokumentation zeigt, wie schwierig es ist, der eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen. Oft wissen die Betroffenen bis heute nicht, dass sie adoptiert wurden. Erika Thesenvitz' Sohn Oliver entdeckte nur durch einen Zufall seine Geburtsurkunde und machte sich im Internet auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter. Umgekehrt haben die Mütter kaum eine Chance, Namen und Adresse des Kindes ausfindig zu machen. Mit dem Verlust des Erziehungsrechts wurde jeder Kontakt unmöglich gemacht. 20 Jahre nach dem Mauerfall können die Beteiligten zwar Akteneinsicht beantragen, aber sie bekommen die Beweise in der Regel nicht in die Hand. Wer damals als „asozial" verurteilt wurde und daraufhin sein Kind verlor, hat deshalb heute kaum Möglichkeiten, das Gegenteil zu beweisen. „Ein Versäumnis des deutschen Einigungsvertrags ist: Adoptionen gegen den Willen der Eltern sind nicht als schwere Menschenrechtsverletzungen dort niedergelegt", so Uwe Hillmer vom Forschungsverbund SED-Staat. Ulrike Brincker erzählt in ihrer Dokumentation Lebensgeschichten, deren Bruchstellen nicht mehr zusammenpassen wollen. Zwar haben sich die Beteiligten mit ihrem persönlichen Schicksal arrangiert, doch die Enttäuschung darüber, dass sie als Opfer nicht anerkannt werden, ist groß.