Hallo zusammen, wir haben nächste Woche unser ersten Gespräch beim Jugendamt und sind noch total verwirrt. Ich habe schon viel versucht zu lesen und viel mit meinem Mann gesprochen. Wir möchten beide ein geistig gesundes Kind haben und auch körperlich könnte ich mit schweren Krankheiten wie HIV nicht leben. Ich persönlich würde gerne eine Auslandsadoption machen, in der Hoffnung ein Baby oder Kleinkind zu bekommen. Mein Mann ist eher für eine Innlandsadoption. Ich befürchte nur, dass wir ewig warten müssten oder vielleicht ein Alki-Kind bekommen. Mit Körperlichen Einschränkungen könnte ich ja leben, aber geistige Behinderungen würde ich nicht verkraften können.
Ich bin auch zum Thema Langzeitpflege nicht abgeneigt. Unsere Bekannten haben ein neugeborenes, völlig gesundes Kind für Dauerpflege mit Adoptionsaussichten innerhalb von 3 Monaten bekommen. Das könnte ich mir auch durchaus vorstellen- auch wenn ich mir durchaus im klaren bin, dass dieses Glück sicherlich nicht die Regel ist.
Leider weiß ich nicht viel darüber, wie das leben als Pflegeeltern so ist. Ich habe einen Stiefsohn, bin also quasi Wochenend-Mama und stelle mir das sehr ähnlich vor. Man liebt und beträut das Kind und kämpft immer wieder mit der leiblichen Mutter um jeden kleinen Pups... eine Horrorvorstellung für mich. Wie habt ihr solche Situationen erlebt und seht ihr das als gute Alternative zur direkten Adoption? Wie wahrscheinlich ist es, dass die leibliche Mutter das Kind zurück bekommt, wenn es erst mal Jahre bei den Pflegeeltern gelebt hat? Wieviel mischt sich das JA in unser tägliches Leben ein? Ich würde schon irgendwann gerne wieder halbtags arbeiten gehen oder so was. Darf man das selbst entscheiden oder wird man von der HMutter und dem JA sehr viel fremd bestimmt? Ich wurden die Pflegekinder in eurem umfeld akzeptiert? Wie sieht es mit erzeihungsurlaub beim Arbeitgeber aus? Ach, ich habe noch tausende fragen......
ich kenne mich nur etwas mit Dauerpflege aus. Trotzdem will ich mal versuchen, ein paar Punkte zu beantworten. Ob Inlands- oder Auslandsadoption oder auch Pflege. Immer wirst Du einen Teil der Herkunftsfamilie mit annehmen. Das ist eben zu einem leiblichen Kind anders. Auch haben all diese Kinder (auch wenn es direkt im Kreißsaal zu Euch kommt) einen Beziehungsabbruch hinter sich und das muss entsprechend berücksichtigt werden. Bei der Adoption kannst Du genau das angeben, was Ihr Euch zutraut. z.B. gesundes Baby. Du kannst sowohl körperliche als auch geistige Behinderungen des Kindes ausklammern bzw. auch bestimmte Elterngruppen ausschließen (alkoholkranke Eltern, Prostituierte etc.) Man wird Euch dann nur ein Kind anbieten, was zu Euch passt. Ein Risiko bzgl. nicht erkannter Krankheiten oder unwahren Angaben der Herkunftseltern bleibt natürlich. Man kann auch immer zu einem Vorschlag nein sagen, ohne dass man sich dadurch alles für weitere Vermittlungen verbaut.
Bei der Dauerpflege ist es ähnlich. Oft sind die Kinder hier aber auch etwas älter. Trotzdem werden immer wieder Säuglinge oder sehr junge Kleinkinder in Dauerpflege gegeben. Bei der Dauerpflege wird i.d.R ein Vormund vom Jugendamt bestellt und vertritt die Interessen des Kindes. Wichtige Entscheidungen bzw. Anmeldungen (Schule, Kindergarten, Operationen, Taufe, Auslandsreisen etc.) müssen vom Vormund unterschrieben werden. Oft folgt der Vormund den Vorschlägen der Pflegeeltern, muss er aber nicht. Die üblichen Entscheidungen des täglichen Miteinander dürfen normalerweise die Pflegeeltern entscheiden. Bei der Dauerpflege sind regelmäßige (z.B. monatliche) Treffen mit den leiblichen Eltern üblich. Hängt aber von Fall zu Fall ab. Mindestens jährlich findet ein Hilfeplangespräch statt, in dem man die Situation des Kindes bespricht. Bei der Dauerpflege bekommt man monatlich Geld (ca. 700,-EUR) und dazu noch weitere notwendige Kosten ersetzt. Bei der Adpoption und bei der Dauerpflege kann man Elternzeit nehmen. Die Arbeitgeber müssen einen kurzfristig freistellen. Elterngeld gibt es bei der Adoption, bei der Pflege nicht.
seht ihr das als gute Alternative zur direkten Adoption?
Es gibt keine direkte Adoption. Wenn du ein Kind "mit dem Ziel der Adoption" aufnimmst, dann hat es zunächst den Status eines Pflegekindes. Das nennt sich Adoptionspflege, weil es im Unterschied zum echten Pflegekind kein Geld dafür gibt und man schon etwa Elternzeit beantragen kann und Kindergeld bekommt und solche Dinge. Die Vormundschaft liegt aber beim Jugendamt, bis die Adoption ausgesprochen wurde. Das kann im Idealfall nach einem Jahr sein, kann aber auch länger dauern, wenn die leibliche Mutter/die Eltern der Adoption nicht zustimmen wollen.
Zum Thema Arbeiten: Du nimmst ein Kind an, dem du völlig fremd bist und das dir völlig fremd ist. Da muss zunächst eine Bindung entstehen und die entsteht nicht, wenn das Kind ständig von wechselnden Bezugspersonen betreut wird. Das Jugendamt erwartet normalerweise, dass ein Elternteil sich zunächst "hauptberuflich" um das Kind kümmert und das finde ich auch sehr wichtig und richtig!
Wir haben uns auch einmal über Dauerpflege informiert und uns wurde gesagt, dass die Kinder, die in Dauerpflegefamilien kommen, in den meisten Fällen auch dort bleiben. Aber eine Garantier hat man dafür natürlich nicht. Auch bei Adoptivkindern muss man mit einer Rückführung rechnen, solange die Adoption noch nicht "rechtskräftig" ist. In den ersten Wochen kommt das durchaus vor.
Zitat von AmmyMit Körperlichen Einschränkungen könnte ich ja leben, aber geistige Behinderungen würde ich nicht verkraften können.
Bei solchen Überlegungen musst Du Dich immer fragen, was wäre, wenn Du ein leibliches, behindertes Kind bekommen hättest? Könntest Du dann auch nicht damit leben?
In diesem Zusammenhang - hat jemand von Euch zufällig die TV-Serie über die "Knochenmühle" (Orthopädie) in Heidelberg gesehen? Da ging es in den letzten beiden Folgen um ein kleines Adoptivmädchen, das eine ganz schlimme Behinderung hat, die sich erst nach und nach gezeigt hat. Inzwischen ist sie ca. 7 und ein absolut faszinierendes und charmantes Kind. Einfach bewundersnwert! Sie wurde von einem TV-Team samt Familie vor und nach ihren Operationen begleitet. Ich kann mich nur ganz tief vor diesem Kind und seinen Ado-Eltern verneigen, so wie es die Klinkprofessoren und das gesamte Team auch getan haben.
Ein Mensch ist erst einmal ein Mensch, dem Respekt gebührt, egal wie er "beschaffen" ist. Wenn man immer nur nach den Mängeln und Gebrechen sucht, entgehen einem möglicherweise viele tolle Eigenschaften, die für alle ein Gewinn sind.
ZitatMein Mann ist eher für eine Innlandsadoption. Ich befürchte nur, dass wir ewig warten müssten oder vielleicht ein Alki-Kind bekommen.
Das ist heftig - aus meiner Sicht als deutsch H-Mutter. Ich denke, Du hast da etwas blauäugige Vorstellungen, was Auslandsadops angeht. Wenn Du z. B. die Ostblockstaaten nimmst, aus denen bis vor wenigen Jahren bevorzugt adoptiert wurde, weil die Kinder zahlreich waren und wie wir aussahen, ist die Wahrscheinlichkeit ein "Alki"-Kind zu erwischen, erfahrungsgemäß viel höher.
ZitatIch bin auch zum Thema Langzeitpflege nicht abgeneigt. Unsere Bekannten haben ein neugeborenes, völlig gesundes Kind für Dauerpflege mit Adoptionsaussichten innerhalb von 3 Monaten bekommen. Das könnte ich mir auch durchaus vorstellen- auch wenn ich mir durchaus im klaren bin, dass dieses Glück sicherlich nicht die Regel ist.
Dauerpflege muss nicht als "Glück" enden, denn es kann immer möglich sein, dass das Kind wieder in die bio-Familie zurück kommt - je nach Grund der Dauerpflege (z.B. schwere Krankheit einer alleinstehenden Mutter).
ZitatWie wahrscheinlich ist es, dass die leibliche Mutter das Kind zurück bekommt, wenn es erst mal Jahre bei den Pflegeeltern gelebt hat?
Soweit ich gehört habe, läuft diese Möglichkeit gegen null. Ist das Kind schon Jahre bei den Ersatzeltern, haben die bio-Eltern kaum noch eine Chance.
Lies Dich hier erst einmal durch die entsprechenden Fäden. Du findest einiges zu Dauerpflege, denn hier schreiben auch Eltern, die entsprechende Erfahrungen haben.
Bääähhh, mein Text war schon wieder weg, bevor ich ihn abschicken konnte . Ich habe ihn auch mit "Trick 17" nicht wieder herstellen können. So ein Mist.
Zum Thema körperliche/geistige Behinderungen muss ich sagen, dass ich auch beim JA angegeben hatte, mir nur vorstellen zu können, mit einem Pflege- oder Adokind zu leben, dass soweit körperlich oder geistig eingeschränkt ist, dass es trotzdem im Erwachsenenalter allein leben kann. Also keine schweren körperlichen oder geistigen Behinderungen oder lebensverkürzende Erkrankungen - soweit bekannt. Das würde ich mir bei einer bewussten Entscheidung nicht zutrauen. Was dann bis zum Erwachsenenalter passiert (Unfall, Krankheit oder es stellt sich noch etwas unerwartetes heraus) steht auf einem anderen Blatt Papier. Das wuppt man dann irgendwie auf jeden Fall. Wäre ich je schwanger geworden oder würde es noch werden, würde ich - nach jetzigem Stand - kein noch so behindertes oder erkranktes Kind abtreiben, sondern es auf jeden Fall bekommen. Aber es ist irgendwie etwas anderes, wenn man sich ganz bewusst dafür entscheiden soll, wenn man mit dem JA spricht und den Profilbogen erstellt. Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausgedrückt. Es ist immer ein schwieriges Thema und ich möchte niemandem unabsichtlich auf den Schlips treten.
Bezüglich Dauerpflege verhält es sich mittlerweile - nach Auskunft unseres JA - so, dass auch Rückführungen noch nach Jahren des Aufenthaltes in der Pflegefamilie stattfinden, wenn bei der leiblichen Familie wieder "alles im Lot" ist. Gerade wenn das Kind in der Pflegefamilie sicher gebunden ist, geht man wohl mittlerweile davon aus, dass das Kind auch einen Bindungsabbruch (Pflegefamilie) verkraftet und sich wieder neu binden kann (leibliche Eltern). Ist ein Mensch einmal bindungsfähig, dann kann er auch neue Bindungen eingehen, heißt es. Es gibt wohl auch schon entsprechende Gerichtsurteile. Aber das ist wohl auch etwas unterschiedlich von Gericht zu Gericht. Man muss also wohl beim jeweils zuständigen JA erfragen, wie es dort gehandhabt wird bzw. wie das dortige Gericht solche Fälle entscheidet. Wie es früher einmal war, dass man eben davon ausging, dass eine Rückführung nach Jahren nicht mehr dem Kindeswohl dient, soll es wohl nicht mehr sein.
Wer "zu bestimmen" hat, ist ja bei Dauerpflege auch unterschiedlich. Meistens liegt ja das Sorgerecht beim JA und nicht mehr bei den leiblichen Eltern. Manchmal hat das JA aber nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Für alles wichtige gibt es ja die halbjährigen Hilfeplangespräche aus denen dann der Hilfeplan resultiert, an den sich gehalten werden muss. Ob und wenn ja in welchem Rhytmus Besuchskontakte stattfinden hängt von vielerlei Dingen ab. Man kann das nicht pauschalisieren. Man kann auch bei einem Pflegekind Elternzeit beim Arbeitgeber nehmen. Auch bis zu drei Jahre, wie bei einem leiblichen oder AdoKind. Bis zu einem Kindesalter von 8 Jahren. Käme also ein 6jähriges Pflegekind zu einem, kann man nur noch zwei Jahre nehmen. Elterngeld bekommt man nicht, aber Kindergeld und Pflegegeld vom Jugendamt (bis das Kind 18 Jahre alt ist). Halbtags kann man sicherlich auch wieder arbeiten gehen, wenn das Kind im Kiga oder in der Schule ist, soweit das Verhalten des Kindes es zulässt (blöd ausgedrückt, aber mir fällt es gerade nicht besser ein).
Ganz ganz wichtig ist aber, dass man die leiblichen Eltern - mit all ihren vermutlich vorhandenen Fehlern - als Herkunftsfamilie akzeptiert und auch respektiert. Gerade bei Pflegekindern, wo man ja quasi immer wieder damit konfrontiert wird. Die Kinder dürfen nicht das Gefühl haben, dass man die leiblichen Eltern in irgendeiner Weise als minderwertig oder "Assi" oder sonst etwas ansieht. Sie fühlen sich dann hin- und hergerissen zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern. Es ist ganz ganz schrecklich für die Kinder. Die Herkunftsfamilie ist ein Teil von ihnen. Natürlich ist es im Falle von Misshandlungen und schwerer Vernachlässigung schwierig. Aber, wenn man den Kindern nicht erlaubt, positiv über ihre Herkunftsfamilie zu denken, nimmt man ihnen auch ihr eigenes Selbstwertgefühl. Man muss sich gut überlegen, was für eine Herkunft man sich zutraut. Bis zu welchen Grenzen, kommt man mit einer Herkunftsfamilie klar. Herrje, ich werde gerade ganz emotional. Belassen wir es dabei. (Falls jetzt jemand auf die Idee kommen sollte - ich habe kein Kindheitstraume in diese Richtung )