Für diejenigen, die es nicht wissen: ich habe seit etwa einem Jahr Kontakt zu meiner leiblichen Familie (d.h. leibl. Mama & drei ältere Schwestern) und bin wirklich glücklich darüber. Innerhalb dieses Jahres hatte ich kaum Zeit, das Geschehene richtig zu verarbeiten oder mal richtig darüber nachzudenken. Es war einfach so viel Neues und ich lebte quasi von einem Moment in den nächsten, was meine leibliche Familie anbelangte. Zwischendurch kam ich zwar schon hin und wieder ein bisschen zum Reflektieren, aber nicht so, wie es vielleicht nötig gewesen wäre. Jetzt...ein Jahr und 3 Monate nach dem Erstkontakt zu meiner leibl. Mama...erlebe ich immer wieder Phasen starken Nachdenkens und "Nachfühlens". Und nun zu meiner Frage an Adoptierte, die ihre leibl. Familie gefunden oder auch noch nicht gefunden haben:
Geht es euch auch manchmal so, dass ihr nicht fassen könnt, dass das alles (d.h. alles, was mit der Adoption zusammehängt) wirklich EUCH betrifft? Dass IHR zwei Familien habt, dass IHR in der Mitte steht, dass IHR plötzlich Geschwister habt, dass IHR euch ganz neu kennenlernen müsst, dass IHR eure Wurzeln gefunden habt, dass IHR plötzlich ein völlig neues Leben beginnen könnt/dürft/müsst.
Ich kann es (noch??) nicht begreifen, was für eine Reise ich hinter mir habe. Ich habe immer das Gefühl, dass das wem anderen "passiert" ist und dann plötzlich wird mir wieder schlagartig bewusst, dass es MEIN Leben ist. Dass es MEIN Schicksal (nicht im negativen Sinne verstehen ) war und ist. Ich meine...ich treffe mich etwa einmal pro Woche mit meinen Schwestern und erzähl Freunden oder (A-)Familienmitgliedern von ihnen, aber dann plötzlich taucht ein Gedanke auf wie z.B. "Häh? Ich hab Schwestern?" und dann muss ich mir gedanklich selber sagen "Ja! Ich habe Schwestern!".
Hmmm...vielleicht kennt das ja jemand von euch und mag bissl was dazu schreiben oder so. Eure nachdenkliche riddle
Ich vestehe was du meinst. Ich bin auch adopiert und vesuche gerade Kontakt zu meiner leibl. Mutter und zwei Halbschwestern von mir herzustellen. Leider ist der Kontakt zu meiner leiblichen Mutter sehr zäh, sodass meine Halbschwestern noch gar nicht wissen, dass es mich gibt. Seit einem halben Jahr habe ich aber alle drei auch in Facebook gefunden und kann so mehr oder weniger passiv an ihrem Leben teilhaben. Für mich, der "nur" mit einem Bruder aufgewachsen ist, war daher vor allem das letzte halbe Jahr manchmal sehr ungewohnt, wenn ich darüber nachdachte, dass ich jetzt auch Schwestern habe.
Ich hoffe sehr, dass ich in naher Zukunt einen Kontakt zu allen dreien aufbauen kann. Es ist auf jeden Fall sehr spannend, wobei ich, was die ganze Adoptionsgeschichte angeht, etwas hin- und hergerissen bin. Die Suche nach meinen Wurzeln macht man Leben ohne Frage aufregender, zumindest empfinde ich das so, aber gleichzeitig belastet es manchmal auch, da die Suche bislang nur bedingt erfolgreich war. Aber bislang haben die positiven Gefühle immer überwogen. Ich finde, es macht mein Leben reicher. Eine etwas ernstere Form der Schnitzeljagd, so ganz salopp gesagt - mit einem hoffentlich positiven Ausgang.
Ich denke es geht allen so, die ihr Kind, ihre Eltern wieder gefunden haben. Es sind ja zwei Welten die plötzlich ineinander wachsen müssen. Das Neue muss in dein Leben integriert werden und das dauert Zeit. Du kannst nicht nach 1 Jahr bereits erwarten, dass die 25 oder 30 Jahre Entfernung wie weg gewischt ist. Ich würde mir keine Gedanken machen, sondern raten: laß die Freude überwiegen, grübeln und fragen nützt da gar nix. Man sollte einfach Dankbar sein sich wieder gefunden zu haben. Der Rest bringt die Zeit. Toi toi toi
Ich kenn das auch, das Gefühl, dass es seltsam ist, dass dies alles mich betrifft. Mehr als dass beschäftigt mich aber meist der Schwarze Fleck in meiner Biographie, da ich ja keinen Kontakt zur Herkunftsseite habe.
ja, ich kenne das auch. Und habe mir erklären lassen, dass das ganz normal ist. In der Fachsprache heißt das "Dissoziation". Man steht irgendwie neben sich, hat das Gefühl, dass das jemandem passiert, der daneben steht. Irgendwie unwirklich. Das ist normal, denn so eine Lebensgeschichte aufzurollen ist ein gigantisches Vorhaben für die Seele. Und dieses "unwirklich erscheinen" ist eine Schutzfunktion des Menschen. So schützt er sich vor zu vielen Eindrücken. Bleib also einfach gelassen und lass die Zeit für dich arbeiten. Falls es dich tröstet: Meine Wurzelsuche ist jetzt 4 (!) Jahre her und ich habe dieses Gefühl gelegentlich immer noch. Aber seltener und nicht mehr so intensiv. Das ist sicher bei jedem Menschen anders, vielleicht brauche ich halt länger.... Ich hoffe jedenfalls, dass dir diese Antwort ein kleines Stück weitergeholfen hat und wünsche dir alles Gute und vor allem auch Zeit für dich selbst, um alles zu verinnerlichen. Der Verstand ist oft viel schneller als das Gefühl... :-)
Da fällt mir ein Zitat ein:
Zwei Wanderer sind unterwegs auf einer langen Reise. Der eine möchte gerne endlich ans Ziel und ärgert sich sehr über seinen Kollegen, der sich immer wieder an den Wegesrand setzt und lange Pausen macht. Irgendwann ist er so genervt und raunzt: "Sag mal, willst du denn gar nicht mehr ankommen? Was machst du denn da?" Da antwortet der Gelassene: "Ich warte, bis meine Seele hinterherkommt. Denn ohne sie macht ein Fortschreiten keinen Sinn."
@kleiner Kämpfer: Eine dissoziative Störung ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, bei der man teilweise völlig neben sich steht und Dinge tut von denen man hinterher nichts mehr weiß. Ich glaube nicht, dass riddle so etwas meinte. Ich glaube eher dass sie einfach teilweise nicht fassen kann, dass so etwas gerade ihr passiert. Es ist ja auch teilweise unglaublich. Wenn mir jemand meine Geschichte als Hollywoodstory verkaufen würde, würde ich nicht einen Moment daran zweifeln, dass es Fiktion ist. Insofern kann ich das sehr gut nachvollziehen und halte das keineswegs für krankhaft.
Ja, das stimmt. Dennoch nennt man das wirklich "dissoziieren" und das kommt im absoluten normal-psychischen Bereich gar nicht so selten vor. Meine Absicht war, dass riddle sehen kann, dass es ganz normal ist. Natürlich gibt es auch schwere, krankhaftte Störungen in diesem Bereich. Das muss aber nicht sein und das meinte ich auch gar nicht. Mir hat es oft geholfen, auch mal nach solchen Begriffen zu googeln, um mich und meine Reaktionen besser verstehen zu können. Das nahm mir die Angst.
Und ja, würde man so manche Lebensgeschichte als Drehbuch einreichen, käme es zurück mit der Bemerkung "nicht glaubhaft" :-)
Kommst Du aus der "Branche"?? Ich weiß, dass bei mir der Verdacht auf diese Krankheit bestand und dass meine teilweisen "Aussetzer" damals als Dissoziative Störung vordiagnostiziert wurden. Ich habe dann einen ca. 400 Seiten langen Fragebogen ausgefüllt mit meiner Therapeutin und es wurde im Endefekt ausgeschlossen. Insofern halte ich es für schwierig hier einen "Fachbegriff" für etwas einzuführen, und da dann auch noch nach zu googeln, denn da kommen sachen bei raus, je nachdem wer das liest wird da evtl. getriggert von...finde ich gefährlich, in so einem reizoffenen Forum wie diesem hier.
wie víelleicht einige wissen, habe ich meine leibliche Mutter und eine Schwester sowie zwei Brüder gefunden; nach 56 Jahren! Das ganze ist jetzt 3 Jahre her, zuerst zeigte sie, leibl. Mutter, sehr großes Interesse an mir, eine Schwester und ein Bruder auch, der andere wolllte mích nicht kennenlernen. Im April d.J. starb meine Adoptivmutter im Alter von 89 Jahren (sie wusste nicht, dass ich meine leibl. Mutter gefunden hatte- und das ist letztendlich auch gut so!!!). ich hatte meine leibl.Mutter gebeten, noch einmal mit meinem Bruder (es sind Halbgeschwister, sie haben einen anderen Vater) zu reden, weil ich ja nie zu Feiern oder so kommen durfte, weil er mich nicht sehen wollte und weil die ganze andere Verwandtschaft auch nichts von mir wissen darf. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Interesse an mir ist wohl erloschen. Meine Nichte (die mich gefunden hat und die Tocher einer leider verstorbenen Halbschwester ist) sagte mir, dass sie (meine leibl. Mutter und ihre Oma) gesagt hat, ich sollte mich melden, da ich ja nicht angerufen hätte, als meine Adoptivmutter gestorben ist. Meine Nichte hatte ihr aber davon erzählt; sie hat sich seitdem nicht mehr bei mir gemeldet und meine Schwester auch nicht, was mich sehr enttäuscht. Aber ich werde auch damit fertig werden - es ist nur so, wie noch einmal "weggegeben".
@Harry, du siehst also; es ist nicht immer heile Welt
Hallo Brigitte, kann Dich in Deinem Schmerz gut verstehen! Man könnte ja sagen, wenn Deine leibliche Familie nichts mit Dir zu tun haben möchte, lasse sie sausen, Du verlierst nichts. Aber an meinem Sohn sehe ich, dass das absolut nicht einfach ist. Mit einigen Angehörigen seiner leiblichen Familie hat er schon längere Zeit keinen Kontakt, weil die ihn ständig verkohlen und deren Moral auf einigen Gebieten noch dazu absolut nicht ok ist und er da nicht zusehen möchte wie andere leiden müssen. Weil aber die ganze Familie in diesen Machenschaften verstrickt ist, hat er sich zum x-ten Male ganz zurückgezogen und es herrscht wieder Funkstille. Auf der anderen Seite zieht es ihn zu diesen Menschen und er startet immer wieder einen neuen Versuch mit der Option, Teile der Familie auf einen vernünftigen Weg zu bringen, weil ein Umgang auf dieser Schiene für ihn nicht tragbar ist.
Von mir bekam er noch nie den Ratschlag (den ich ihm des öfteren geben möchte), es doch gut sein zu lassen, weil ich meine, es ist seine Sache. Aber innerlich leidet er doch, er möchte einen harmonischen Umgang pflegen.
Aus diesem Grund kann ich mir gut vorstellen, wie Du leidest und wie es Dich zu ihnen hinzieht. Leider habe ich aber auch keinen guten Rat, der Dir vielleicht weiterhelfen könnte, außer Deine Nichte die eventuell auf längere Sicht Dein Rettungsanker ist oder ein Telefonat von Dir ausgehend mit Deiner Mutter und Schwester, gemäß dem Sprichwort "der Klügere gibt nach". In solchen Fällen sollte man nicht nach dem Schema handeln 'wer ist nun dran, sich wieder zu melden'. Wenn Du zunächst erst einmal mit denen allein einen persönlichen Kontakt aufbaust, hast Du doch schon eniges gewonnen. Vielleicht ergibt sich das andere ja daraus.
Wünsche Dir den Kontakt mit Deiner Herkunftsfamilie, den Du Dir wünscht und der Dir gut tut.
Ich denke es ist völlig normal, sich solche Gedanken zu machen. Gerade wenn man erst recht spät von neuen Familienmitgliedern erfährt, dauert es umso länger sich daran zu gewöhnen, dass auf einmal neue Familienmitglieder auftauchen. Meiner Erfahrung nach legt sich das aber mit der Zeit, wenn man einen guten Kontakt herstellen kann.