Ich hoffe, dass ihr mir vielleicht einen Rat geben könnt. Ich selbst bin zwar nicht adoptiert und habe kein Kind bei mir aufgenommen, aber ich bin dennoch in dieses Thema verstrickt, weil mein Freund, beziehungsweise gerade leider Ex-Freund, adoptiert wurde und unglücklicherweise eine traurige Geschichte hat, die uns jetzt das Leben oft sehr schwer macht. Vielleicht hat jemand mal etwas ähnliches erlebt oder weiß, was man tun könnte.
Wie gesagt wurde mein Freund adoptiert, als er einige Monate alt war. Über seine leiblichen Eltern weiß ich nicht viel. (Und er wollte sie nie kennenlernen.) Nur dass sie in der Nachbarstadt wohnen oder gewohnt haben, es drei Geschwister gibt, und es irgendwie einen Todesfall in der Familie gab, der die Familie so belastete, dass mein Freund als Baby weggeben wurde. Das weiß ich übrigens auch nur alles, weil seine Adoptivmutter ihm das im Suff an den Kopf geworfen hat, bevor sie ihm sagte, dass er doch in das Loch zurückkriechen soll, wo er hergekommen ist... -.-
Leider traf er es mit seinen Adoptiveltern nicht gut. Während der Vater größtenteils ein passabler Mensch war, ist die Mutter leider schrecklich. Dazu muss ich sagen, dass sie seit Jahrzehnten Alkoholikerin ist. Sie hat sich zwar mal auf Drängen ihres Mannes in Therapie begeben, ist aber immer wieder rückfällig geworden. Sie ist aber der Meinung, dass sie keine weitere Therapie braucht, weil sie doch schon mal eine gemacht hätte.
Mein Freund hat mir im Laufe der vergangenen Jahre einiges erzählt, was in seiner Kindheit vorgefallen ist. So wurde er leider bei den Adoptiveltern ziemlich vernachlässigt, sodass er auch mit vier Jahren noch nicht sprechen konnte und dies erst bei einer Logopädin lernen musste. Auch die Schulzeit war nicht besser. Er wurde permanent unter Druck gesetzt, alles perfekt zu machen und wenn er einen Fehler machte, wurde er geschlagen und wollte ständig von zuhause weglaufen. Dazu gab es nie ein liebes Wort, kein Lob, keine Umarmung. Der Vater hätte ihm wohl gern mehr gegeben, aber dadurch, dass er mit seiner Frau gar nicht mehr klar kam, begann er selbst zu trinken und war von früh bis spät nur in einer Kneipe. Während seiner Jugend versuchte sich die dauerbetrunkene Mutter auch mehrmals, sich das Leben zu nehmen oder drohte oft damit, es zu tun, wenn ihr Sohn nicht so funktonierte und gehorchte, wie er es sollte.
Als er dann 18/19 war, wurde der Vater zunehmend gebrechlicher und mein Freund musste die Rolle des Pflegers übernehmen und darüber seine eigene berufliche Ausbildung zurücksetzen.
Ich lernte ihn dann mit 22 kennen. Und lieben. Und bemerkte bei Besuchen bei ihm, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er musste immer zuhause auf Abruf bereit sein, um neuen Alkohol für die Mutter zu besorgen, was er auch immer sofort tat, obwohl er mir ständig sagte, wie sehr er es hasst, dies zu tun.
Schnell bemerkte ich auch, dass er mit sich selbst ein großes Problem hat und sich selbst hasst. Was wohl irgendwie damit begründet ist, dass er vielleicht denkt: "Nicht mal meine eigenen Eltern konnten mich lieben, und diese Eltern lieben mich auch nicht. Es muss etwas an mir falsch sein, ich bin schlecht und kann gar nicht richtig geliebt werden." So bezeichnet er sich beispielsweise selbst als häßlich, obwohl er sehr attraktiv ist, und meidet Spiegel. Er versucht auch jedem Konflikt aus dem Weg zu gehen oder jeder Situation, in der er vielleicht scheitern könnte. Dann probiert er es lieber gar nicht. Auch Intimität ist für ihn ein großes Problem. Er blockt diese eigentlich in 99 Prozent der Fälle ab, mit der Begründung, er habe Angst, etwas falsch zu machen und ich würde ihn dann hassen. Dass das natürlich nicht so ist, habe ich ihm so oft gesagt, (nicht nur bei der Thematik), aber es scheint nicht zu ihm durch zu dringen.
Unglücklicherweise starb dann vor etwa eineinhalb Jahren sein Vater, zu dem er eine wesentlich bessere Verbindung hatte als zur Mutter. Die Mutter verfiel nach dem Tod ihres Mannes in immer schlimmeren Suff und wurde von uns oder ihm ständig bewusstlos aufgefunden oder vom Krankenwagen abgeholt. Ich war der Meinung, dass es besser wäre, wenn sie eine Weile in ärtzlicher Behandlung bleibt, aber leider sagten die Leute im Krankenhaus, dass sie sie ich gegen ihren Willen festhalten könnten. So wiederholte sich das ganze immer und immer wieder.
Was mich natürlich sehr belastete, aber meinen Freund umso mehr. Ich merkte, wie er immer mehr vor die Hunde ging und es ihm körperlich und seelisch immer schlechter ging. Kein Wunder. Erst der Vater tot und dann diese Eskalation mit seiner Mutter. Also bot ich ihm an, zu mir in das Haus meiner Eltern zu ziehen. Er nahm es dankbar an. Ich hoffte auch, dass die Mutter dadurch, dass ihr "Diener" nun weg war, vielleicht aufwachen würde, nachdenken und merken, dass sie Hilfe braucht.
In der Zeit, als er zu mir zog, blühte er wirklich auf. Was mich natürlich sehr freute. Alles schien sich zum Positiven zu wenden. Was auch erst der Fall war. Dann kam leider ein Dämpfer. Ich verlor meine Arbeit und konnte einige Monate keine neue finden. Was für mich natürlich schwierig war und ich litt darunter. Ich zog mich etwas zurück, hatte auch mal schlechte Laune, und konnte auch in unserer Freizeit weniger unternehmen, weil mir auch schlichtweg das Geld fehlte. Ich hatte aber immer den Eindruck, dass mein Freund mir beistehen würde. Jedenfalls sagte er nichts und ließ sich nichts anmerken, dass ihn etwas belastet. Schließlich fand ich eine neue Arbeit und es ging wieder bergauf. Bis vorletzten Sonntag.
An dem Tag sagte mir mein Freund plötzlich nach einem völlig normalen Abendessen, dass er nichts für mich fühlen könnte und es für ihn zu einer zu großen Belastung geworden sei, sich um mich und meine Jobsorgen kümmern zu müssen. Dann stand er auf, packte seine Sachen und ging. Zurück zu seiner Mutter.
Ich war und bin immer noch völlig schockiert und vor den Kopf gestoßen. Obwohl mir viele Freunde und Bekannte sagen, dass er ein undankbarer... na ihr wisst schon... ist und ich ihn vergessen soll, kann ich das nicht. Zum einen, weil ich ihn natürlich nach wie vor liebe und zum anderen, weil ich nicht glaube, dass er so gefühlskalt ist und ihm alles, was wir hatten und uns aufgebaut hatten, auf einmal egal ist. Und ich mache mir auch wahnsinnige Sorgen um ihn, weil er ja zu der Wurzel allen Übels zurückgegangen ist und ihn da der gleiche Horror wieder erwartet. (Bei wenigen Kontaktaufnahmen während der Zeit, als er bei mir wohnte, hatte sich nämlich kein Stück geändert.) Ich halte seine Begründung irgendwie auch für fadenscheinig. Eher als wenn er sich selber bestrafen will oder leiden will. Vielleicht denkt er, dass er was gutes nicht verdient hätte und hat den Grund, dass ihn meine Probleme belasten und er deswegegen geht, nur vorgeschoben. Oder vielleicht hat ihn das wirklich so sehr belastet aber er konnte es nicht ansprechen, weil er dann wieder dachte, dass ich ihn hasse.
Was meint ihr? Kann eine Adoption und das Aufwachsen in einer so schlimmer Familie einen Menschen so kaputtreißen, dass er so handelt? Ich würde ihm so gern helfen, aber ich weiß nicht so richtig wie, wenn er mich so von sich weg stößt. Soll ich ihn um ein Gespräch bitten? Aber kann ich ihm damit wirklich helfen oder treibe ich ihn damit nur noch mehr von mir weg?
Ich würde deinen Ausführungen zufolge die Probleme sicher zum Teil als durch die schlecht gelaufene Adoption und schrecklichen Kindheit zuordnen, allerdings ist das was du beschreibst, sehr charakteristisch für eine Co- Abhängigkeit. Das trifft ganz oft die Ehepartner und Kinder in Familien (die dann z. B. Den Alkohol beschaffen, anfangen Probleme des alkoholkranken zu lösen und zu vertuschen etc.).
Ich selbst denke, er ist zu seiner Mutter zurück gezogen, weil er evtl. Den Druck und die innere Zerrissenheit (kommt sie klar ohne mich? Bin ich Schuld wenn sie noch mehr trinkt weil ich weg bin? Wer beschützt sie, wenn ich nicht da bin? Usw) nicht mehr aushalten kann.
Wenn du ihm helfen willst, gibt es gute internetforen (mit unterforen extra für Co- abhängige) oder auch die anonymen Alkoholiker bieten Beratungen und Gespräche für Familienangehörige an. Du kannst dich bestimmt dort auch mal erkundigen, wie du Vorgehen könntest, um ihm diese Hilfsangebote nahezubringen - das "sich helfen lassen wollen" und aus den alten Mustern ausbrechen, muss aber von ihm selbst kommen.
Was seine Adoption angeht, kommt es sicher darauf an, ob und wie sehr ihn dieses zweite Thema beschäftigt. Weißt du das denn? Hat er denn überhaupt schon mal den Versuch gemacht, evtl. Mit einem Therapeuten seine Adoption, Kindheit, alkoholproblematik in der Familie aufzuarbeiten?
herzlich willkommen im forum und danke für dein vorab-vertrauen, uns die horrorgeschichte deines freundes zu erzählen. es ist sehr mutig von dir und zeigt auch deine liebe zu deinem freund, da kommt zwar auch der leise verdacht auf, dass bei dir ein helfersyndrom eine kleine rolle spielen könnte, denn helfen kannst du ihm direkt nicht, das sind dann die hilflosen helfer, wie dein bericht zeigt. deine sorgen sind sehr berechtigt und dass du unter dieser schweren belastung leidest verstehe ich sehr gut, es spricht für dich dass du mit-leidest. vorsicht: mitleid ist verboten!
ist denn das jugendamt nicht eingeschritten bei diesen desolaten verhältnissen in seiner adofamilie? bei leiblichen würden sie das tun und ich dachte immer, dass adofamilien viel stärker vom JA betreut (manche sagen kontrolliert) würden. na ja, ist jetzt auch egal, von dort ist keine hilfe zu erwarten so wie die sachlage ist.
als du seine unterstützung brauchtest, konnte er sie dir nicht geben, es wäre so gewesen als ob der blinde den lahmen führen/stützen wollte.
hier ist professionelle hilfe angesagt, würde er sie annehmen?
zu deiner frage am schluss: kann eine adoption....einen menschen so kaputtreißen? ja, das kann sie, aber es hat nicht unbedingt mit adoption zu tun, das würde in einer biologischen familie genauso geschehen.
dein freund musste, um zu überleben, seine gefühle total unterdrücken, das ist ein natürlicher schutz der seele, erlebnisse, die sie nicht verkraften kann, ins unterbewusstsein zu verschieben, sonst würde sie zugrunde gehen.
es gibt hier im forum eine gute psychologin sie heisst snow, sie ist selbst adoptiert und hatte auch ein schweres schicksal zu erleiden in ihrer adofamilie. hoffentlich liest sie deinen post, sie hat sich schon länger nicht mehr gemeldet.
du kannst deinem freund sicher helfen, darfst ihn aber nicht bedrängen, zeige ihm einfach, dass du immer noch für ihn da bist und zu ihm hältst, das erfordert viel feingefühl (bauchgefühl) aber das schaffst du wenn du ihn liebst.
@ Vantera und Annalis Erst einmal vielen Dank für eure Antworten.
@Annalis Es ist in der Tat so, dass ich eigentlich immer die starke Schulter zum anlehnen bin, die anderen bei ihren Sorgen hilft, deswegen kann ich so was wie ein Helfersyndrom nicht wirklich ausschließen. Wobei es mir dabei immer um meine Mitmenschen geht und ich nicht mein Ego streicheln will, weil ich so eine tolle Helferin bin.
Ja, das er in eine Co-Abhängigkeit verstrickt ist, habe ich mir auch schon gedacht. Danke für den Rat, ich werde mich bei entsprechenden Foren oder Stellen hier vor Ort umhören, vielleicht können dir mir was auf den Weg geben. Ich kann ihm ja nur meine Hand entgegenstrecken. Ergreifen muss er sie. Das Thema Adoption und schlimme Kindheit hat er auf jeden Fall wesentlich öfter angesprochen als das Alkoholproblem seiner Mutter. Er ist allgemein eher der verschlossene Typ, aber wenn denn mal was zur Sprache kam, dann ging es darum. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm auch gar nicht recht ist, dass ich das weiß. Dass ich seinen "Makel" kenne. Aber ich war ja nun mal dabei, als seine betrunkene Mutter das rumgeplärrt hatte. Ich habe ihm zwar oft gesagt, dass das für mich keinen Unterschied macht, weil ich ihn ja als Mensch liebe und nicht den Aspekt adoptiertes Kind oder leibliches. Nur bezweifele ich, dass er das tatsächlich annehmen kann. Eine Freundin von mir, die auch adoptiert ist, aber dann eine sehr schöne Kindheit hatte, hat mir erzählt, dass auch sie, obwohl es ihr an nichts mangelte, immer so eine Stimme im Kopf hatte, die ihr sagte, dass sie doch gar nicht richtig liebenswert sei, wenn nicht mal ihre leibliche Mutter sie wollte. Und dass sie immer wieder verlassen werden würde, weil sie so unzureichend sei. Sie hatte viele Jahre gebraucht, um diese Stimme zu besiegen. Ihr damaliger Freund und jetzt Mann hat immer zu ihr gestanden, auch wenn sie einige Male versuche, ihn wegzuekeln, um die "Bestätigung" zu haben, dass sie eh immer allein gelassen wird. Aber er ist nicht gegangen und irgendwann wurde ihr bewusst, dass sie tatsächlich trotz ihres "Mangels" geliebt werden kann. So hat sie es mir erzählt und die Vermutung ausgesprochen, dass es in ihm vielleicht ähnlich aussieht. Aber ich kann ihn ja nicht zwingen, bei mir zu bleiben und sich lieben zu lassen, bis er es begreift.
Nein, den Versuch gemacht, professionelle Hilfe anzunehmen, hat er bisher nicht. Ein sehr guter gemeinsamer Freund, der ihn schon ewig kennt, hatte ihm das schon vor mehreren Jahren nahebringen wollen, aber das wurde mit Händen und Füßen abgewehrt. Er würde nicht wollen, dass man ihn für "verrückt" halten würde, wenn das wer mitkriegt. Er würde das schon allein schaffen. Das ist aber wie gesagt schon so sechs, sieben Jahre her. Vielleicht hat sich sein Standpunkt inzwischen etwas geändert.
Soweit ich weiß, kam keine Hilfe vom Jugendamt. Jedenfalls hat er das nie erwähnt. Dazu muss ich aber auch sagen, dass seine Mutter eine sehr gute Heuchlerin ist. Sie legt extrem großen Wert auf eine perfekte Fassade. Ein großes Haus mit Gärtner, ein großes Auto vor der Tür, mit dem Doktortitel ihres Mannes prahlen und auch der Sohn hatte gefälligst mitzuspielen. Möglicherweise hat sich durch ihre "Hier ist alles in bester Ordnung"-Fassade viel verstecken können.
Hallo Ramis, Was du über den Mann schreibst, der bei dir gewohnt hat, klingt, als würdest du weniger über ihn wissen, als du denkst. Man sollte bei der Wahl seiner Freunde keinen Kompromiss eingehen und zunächst die Werte betrachten, die der Andere hat. Die erkennt man nicht nur indem man sich fragt, was dem Anderen wichtig ist, sondern auch indem man sich fragt, was dem Anderen nicht wichtig ist. Gruß
du bist ein altruistischer mensch, das birgt die gefahr, seinen gesunden egoismus zu verleugnen und dabei zu grunde zu gehen.
seine weigerung, professionelle hilfe in anspruch zu nehmen: steckt dahinter nicht seine angst, dass eine therapeut/in dunkle seiten in seiner seele aufspüren könnte (er ist ja überzeugt, dass er nicht liebenswert ist und vermutet einen guten grund dafür dahinter), die er nicht verkraften könnte? dazu kommt das problem abhängigkeit und co-abhängigkeit.
sich lieben lassen: sag nicht zu ihm: ich liebe dich oder ähnliches. sag lieber: du bist etwas besonderes, du bist in ordnung so wie du bist und ähnliches in dieser richtung. probier es aus.
du schreibst: "aber ich kann ihn ja nicht zwingen, bei mir zu bleiben und sich lieben zu lassen bis er es begreift" mein kommentar: sich lieben zu lassen bringt gar nix! der einzige weg der erlösung ist nach meiner erfahrung: LIEBEN ich meine damit: selber (von sich aus) lieben. das kann er (noch) nicht, weil seine erfahrung und prägung seit frühester kindheit nicht-geliebt-worden zu sein ist.
mein tipp ist (auch aus eigener guter erfahrung): familienaufstellung nach hellinger bei einem guten und nicht wertenden therapeuten/in. das kannst du ihm als möglichkeit, die spannend ist, verkaufen und das wort "therapie" aussen vor lassen.
eine möglichkeit, zu erfahren warum seine mutter säuft und er weder die schuld noch die verantwortung dafür trägt. vor allem auch nicht die verpflichtung, ihr zu helfen, was er sowieso niemals fertigbringen wird solange sich seine alkoholkranke mutter selbst belügt und damit auch ihn.
es ist desweiteren eine oft bestätigte tatsache, dass alkoholiker die besseren und genialeren schauspieler/innen sind als die meisten (auch berühmten) artisten, die ihr handwerk in jahrelanger ausbildung auf der schauspielschule erlernt haben. die beste schule ist das leben selbst und wenn der schüler nicht will, kann ihm der beste lehrer der welt nichts beibringen.