Vorbemerkung: Vom Tag ihrer Geburt bis zum Tag ihrer Entlassung habe ich meine Tochter 13 Wochen lang täglich für mehrere Stunden im Krankenhaus besucht, außer an zwei Tagen. An dem einen Tag musste ich die Mutter zur Entgiftung in ein Suchtkrankenhaus bringen. An dem anderen Tag musste ich eine Dienstreise nach Mainz machen. Von Mainz aus habe ich ihr sofort eine Postkarte geschickt. Diese Karte haben die Schwestern an das Kopfende ihres Bettchens gehängt. Sie ist war eines meiner wenigen Andenken. Diese Karte habe ich meinem Brief an meine Tochter beigefügt.
5.7.87 Liebe kleine Tochter! Heute Abend musste ich verreisen um zu lernen, wie man mit Computerbabys (sogenannte PCs) umgeht. Darum kann ich Dich morgen nicht besuchen und nicht mit Dir schmusen. Aber am Dienstag bin ich wieder da. Dann holen wir alles nach. Trink feste Dein Fläschchen damit Du schnell groß und stark wirst. Ich habe Dich ganz lieb: Dein Vater
18.12.2006
Liebe ………. nun ist es schon fast zwanzig Jahre her, dass ich Dir diese Karte geschrieben habe. Acht Monate bist Du alt gewesen, als ich Dich zum letzten Mal gesehen habe. Aber in all den langen Jahren habe ich Dich zu keinem Augenblick vergessen. Meine Liebe und meine guten Wünsche und Gedanken haben Dich immer begleitet. Gerne würde ich wissen wie sich Dein Leben seitdem weiter entwickelt hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du Dich irgendwann bei mir melden würdest. Du wirst bei mir immer willkommen sein. Ich weiß nicht ob oder wann dieser Brief Dich erreichen wird. Dennoch wünsche ich Dir, Deinen Eltern und Deinen Geschwistern ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr 2007.
Mit ganz lieben Grüßen Dein Vater
Ich hatte lange überlegt, wie ich meinen Brief gestalten sollte. Meine Handschrift ist durch Jahrzehnte langen Gebrauch von Kugelschreibern ziemlich versaut. Aber ich wollte den Brief nicht mit Computer schreiben. Ich habe mich daher gestern in einem Schreibwarengeschäft umgesehen. Dort habe ich dann einen Briefbogen nebst dazu gehörigen Umschlag erstanden. Der Bogen DIN 5 groß, sandfarben, dicker und schwerer als normales Briefpapier, mit rauer Oberfläche und durch eine eingeprägte Falz in der Mitte geteilt. Auf der oberen Hälfte des Bogens habe ich mit Fotoecken die Postkarte an geklebt. Auf die untere Hälfte habe ich mit einem feinen Filzstift meinen Brieftext geschrieben. Ich habe langsam und sorgfältig in meiner Sonntagnachmittagausgehschrift geschrieben und dann den Bogen gefaltet. Beim Aufklappen des Bogens fiel der Blick zunächst auf meine Postkarte von 1987.
ich habe den brief am morgen des 18.12.2006 beim ja abgegeben. meine tochter hat den brief erhalten, wünscht aber bisher keinen kontakt mit mir. aber sie hat mit ihrer großen schwester (4 jahre älter) kontakt aufgenommen. die schwestern haben sich bisher zweimal getroffen und stehen in lockerem sms kontakt. ich habe anfangs zu weihnachten und zum geburtstag über die vermittlungsstelle grüsse und geschenke geschickt. keine reaktion. dann habe ich es eingestellt. meine tochter hat meine adresse, tele-nummer, email-adresse. nun kann ich nur abwarten.
Lieber Burkhard, dann ist sie ja noch sehr jung, ein Jahr jünger als meine Tochter. Weisst du, ob sie je versucht hatte, dich zu finden oder ihre Mutter? Meine Tochter hatte mich mit 16 gesucht und gefunden auf eigene Faust, ohne JA, nur mit meinem Namen und der Stadt in der ich zum Zeitpunkt der Adoption wohnte ausgestattet. Es ist ihr gelungen, weil ich immer noch in dieser Stadt wohnte. Nach dem ersten Treffen, gab es eine dreijährige Funkstille und sie hätte den Mut nicht mehr gefunden, noch einmal auf mich zuzugehen, aber ich hab ihn gefunden. Sie erzählte mir von dem Chaos, das durch unser Treffen in ihr entstanden war. Ich hatte es nicht geahnt und geglaubt, sie hätte es sich anders überlegt. was ich sagen will ist, lass deiner Tochter einerseits Zeit, aber andererseits schadet es nicht, sie zwischendurch erwartungsfrei wissen zu lassen, dass dein Kontaktwunsch weiterhin besteht. Wenn ich diese Karte bekommen hätte von meinem Vater, wäre ich entweder heulend zu ihm gerannt oder heulend so weit wie möglich weg gerannt. Ich wünsch dir Geduld und Kraft und alles Gute pino
Zur gleichen Zeit, als ich meinen Brief beim Jugendamt MS abgegeben habe, hat meine Tochter bei ihrer Vermittlungsstelle eine Suchanfrage gestellt. Sie wünscnte Kontakt zu ihrer großen Schwester, zu ihrem Bruder und zu ihrem Vater. In dieser Reihenfolge. Ein Kontakt zur Mutter wurde ausdrücklich nicht gewünscht. Ich hatte dann im März 2007 ein langes Gespräch mit der Vertreterin des JA und der Frau von der Vermittlungsstelle. Beide kennen meine Tochter seit vielen Jahren persönlich. Meine Tochter hat seit ihrem 16. Lebensjahr immer wieder ihre Adoptionsakte studiert und Akte sowie Aussagen ihrer Eltern verglichen. Es gab wohl keine Widersprüche. Allerdings wurde dann die Situation dadurch kompliziert, dass sich die Eltern scheiden liessen. Der leibliche Sohn hat sich zurückgezogen, die jüngere Schwester (auch adoptiert) hat sich für die Mutter entschieden, meine Tochter hat sich für den Vater entschieden. Sie scheinen ein sehr enges verhältnis zu haben. Meine letzte Nachricht war, dass es wohl grosse Ablösungsprobleme zur A-Mutter gab. Die letzte Aussage die mir bezüglich meiner Person übermittelt wurde war: Wenn mich meine (L)Mutter nicht wollte, warum hat mich mein Vater dann nicht behalten. Zur Zei besteht der Kontakt zwischen den beiden Schwestern
ist spät am abend und ich bin schon fast am schlafen, jedoch muss ich DIR hier noch kurz antworten... wären wir alle im adotionsvieleck so offen und liebevoll wie du, es gäbe fast keine zwischenmenschlichen probleme mehr
Lieber Burkhard, der Geburtstag rückt näher, und das empfinde ich persönlich immer als die schwerste Zeit im Jahr! Ich drücke Dich feste und schicke Dir in Gedanken viel Kraft! Schick ihr doch eine Kleinigkeit. Als Zeichen, dass Du sie nicht vergessen hast!?
Lieber Burkhard, für mich klingt es nach einer großen, unausgesprochenen und uneingestandenen Sehnsucht von ihrer Seite. Das JA ist nach meiner Ansicht kein guter Ratgeber. Warn sie wenigstens bei mir nicht. Da hätte ich immer noch keinen Kontakt, wenn ich mich nach denen gerichtet hätte. Richte dich nach deinem Herzen. damit mach ich immer die positivsten Erfahrungen. Und klar fragt sie, warum ihr Vater sie nicht behalten hat. Das muss für sie erstmal schwer zu verstehen sein, solange sie nicht deine Sicht gehört hat.
Es ist (fast) immer das gleiche Lied: Mißverständnisse auf allen Seiten, mangelhafte Unterstützung seitens JA, Trauer, Verletztheit, Enttäuschung, Wut, Geduld, verpasste Chancen, viele offene Fragen, verlorene Jahre, Eifersucht, Schuldgefühle ... (Reihenfolge kann beliebeig verändert werden).
Lieber Burkhard, ich wünsche Dir, dass Du Deine Tochter eines Tages doch wieder sehen kannst. Es ist aber sicher auch für Dich ein beruhigendes Gefühl, dass wenigstens zu den anderen Kindern ein Kontakt besteht. LG, Mausi
habe über vieles nachgedacht, über die Empfindungen, die ihr H-Mütter habt. Erst jetzt begreife ich , das ihr eigentlich den selben Verlust empfindet, den selben Schmerz. Ich habe immer gedacht, wir sind die Verletzten. Man selbst ist oft in Situationen , wo man sagt, ich schaffe es , man fällt Entscheidungen, die man irgend wann bereut. Man hofft auf Vergebung, hofft, das der nahe stehende Mensch verzeiht. Es muss doch möglich sein, auch der Mutter zu verzeihen, die gerade in der Situation , zu der Zeit überfordert war.
Es ist schwer, es gibt da eine Sehnsucht, es gibt Angst und an müsste sich wahrscheinlich dem annderen Preis geben .
Zwischen dem einen und dem anderen eine Brücke zuschlagen, wäre die Lösung.
Meine frage wäre nur, wie kann diese Brücke entstehen??????????????????????????
Pilcher, einen schönen 4.Advent.
Und noch mal danke, denn man hat jetzt die Möglichkkeiten, einfach beide Seiten zusehen.
Zitat von pilcherMeine frage wäre nur, wie kann diese Brücke entstehen??????????????????????????
Eine sehr gute Frage
Um diese Brücke zu bauen, muss man sich erst einmal über die Ursachen der späteren Probleme und Konflikte im Klaren sein. Wie kommt es, dass Eltern/Mütter überhaupt auf ihre Kinder verzichten? Als was betrachten Adoptiveltern ihre Adoptivkinder? Wie kann es sein, dass sich Adoptierte "schuldig" fühlen können oder warum haben sie so oft Hemmungen, den Wunsch einer Herkunftssuche vor den Adoptiveltern frei zu äußern? Warum fühlen sich JÄ so wenig dazu verpflichtet, später für ihre vermittlungstätigkeit gerade zu stehen, indem sie effektive Hilfen anbieten?
Wenn man sieht, wie ein Vater mit ansehen muss, dass seine Tochter zwar ihre Geschwister "leiden" kann, mit ihrem Vater aber nicht viel anfangen kann, dann wird klar, dass diese Brücke momentan nur ein dünnes Brettchen über einem reißenden Fluß ist.
Der Brief ist einfach wunderschön. Jetzt ist aber die Karte - dein Erinnerungsstück - auch bei deiner Tochter und nicht mehr bei dir.
Kann es nicht sein - und das glaube ich immer mehr - dass Eltern und Kinder immer auf eine Art miteinander verbunden sind ? Dass wenn man wirklich mal in sich rein horcht, man diese Verbindung auch spüren kann? Dass es dazu keiner Gegenstände und keiner Telefonate, Begegnungen und E-Mails braucht? Haben wir in der westlichen Welt vielleicht einfach nur verlernt auf diese innere Verbundenheit zu hören und ihr zu vertrauen?
Lieber Burkhard, deine Tochter ist noch jung. Wenn auch sie mal wirklich in sich hineingeht, wird sie irgendwann merken, dass du für sie da warst. Ich finde es schön, wie offen du deine Gefühle schilderst. Das ist nicht selbstverständlich. Wer so sensibel ist, der müsste auch sein Innerstes finden und dort zur Ruhe kommen.
ZitatMißverständnisse auf allen Seiten, mangelhafte Unterstützung seitens JA, Trauer, Verletztheit, Enttäuschung, Wut, Geduld, verpasste Chancen, viele offene Fragen, verlorene Jahre, Eifersucht, Schuldgefühle ... (Reihenfolge kann beliebeig verändert werden).
ja, und das schlimme ist, dass man die Reihenfolge jahrelamg immer wieder neu umstellen und ändern kann, ohne je die Brücke zu bauen.
Ich glaube, wir müssen es selber tun, weil, wenn wir auf JÄs warten, kommt der Sankt Nimmerleinstag, der uns alle im Grab vorfindet, ohne dass sich je etwas geändert hat. ich finde, was wir hier tun, ist schon der Beginn einer Brücke zu unseren eigenen Kindern/Müttern/Vätern usw. denn wir entdecken wie der jeweils andere ( z.B. die leibliche Mutter) ticken kann, verstehen manches Verhalten besser und können mit diesem Verständnis neu auf den anderen zu gehen.
in diesem Sinn, ein großes DANKE an euch alle und schöne, hoffentlich mal verschneite Weihnachtstage. pino