Roman Verlag Galiani Berlin 432 Seiten gebunden mit Schutzumschlag Euro 22,95 (D) / sFr 34,90 / Euro 23,60 (A) ISBN 978-3-86971-020-4
Ein Buch wie ein Erdbeben
Über fünfzig Jahre quälte sich Peter Wawerzinek mit der Frage, warum seine Mutter ihn als Waise in der DDR zurückgelassen hatte. Dann fand und besuchte er sie.
Das Ergebnis ist ein literarischer Sprengsatz, wie ihn die deutsche Literatur noch nicht zu bieten hatte. Ihre Abwesenheit war das schwarze Loch, der alles verschlingende Negativpol in Peter Wawerzineks Leben. Wie hatte seine Mutter es ihm antun können, ihn als Kleinkind in der DDR zurückzulassen, als sie in den Westen floh?
Der Junge, herumgereicht in verschiedenen Kinderheimen, blieb stumm bis weit ins vierte Jahr, mied Menschen, lauschte lieber den Vögeln, ahmte ihren Gesang nach, auf dem Rücken liegend, tschilpend und tschirpend.
Die Köchin des Heims wollte ihn adoptieren, ihr Mann wollte das nicht. Eine Handwerkerfamilie nahm ihn auf, gab ihn aber wieder ans Heim zurück.
Wo war Heimat? Wo seine Wurzeln? Wo gehörte er hin?
Dass er auch eine Schwester hat, erfuhr er mit vierzehn. Im Heim hatte ihm niemand davon erzählt, auch später die ungeliebte Adoptionsmutter nicht.
Als Grenzsoldat unternahm er einen Fluchtversuch Richtung Mutter in den Westen, kehrte aber, schon jenseits des Grenzzauns, auf halbem Weg wieder um. Wollte er sie, die ihn ausgestoßen und sich nie gemeldet hatte, wirklich wiedersehen? Zeitlebens kämpfte Peter Wawerzinek mit seiner Mutterlosigkeit.
Als er sie Jahre nach dem Mauerfall aufsuchte und mit ihr die acht Halbgeschwister, die alle in derselben Kleinstadt lebten, war das über die Jahrzehnte überlebens groß gewordene Mutterbild der Wirklichkeit nicht gewachsen.
Es blieb bei der einzigen Begegnung. Aber sie löste – nach jahrelanger Veröffentlichungspause – einen Schreibschub bei Peter Wawerzinek aus, in dem er sich das Trauma aus dem Leib schrieb: Über Jahre hinweg arbeitete er wie besessen an Rabenliebe, übersetzte das lebenslange Gefühl von Verlassenheit, Verlorenheit und Muttersehnsucht in ein großes Stück Literatur, das in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen noch nicht hatte.
(ich werde es mir kaufen, hab es also noch nicht gelesen.)
In "Rabenliebe" pfeift Wawerzinek auf seine MutterEin Roman, ein Aufschrei. In "Rabenliebe" schildert Peter Wawerzinek wie seine Mutter ihn mit zwei Jahren in der DDR zurückließ.
Ich betrachte die Mutter und will nicht fassen, dass ich aus ihrem Schoß gekrochen bin, von dieser kalten Frau dort in die Welt geworfen sein soll. (...)
Und hat, als wären die zwei Kinder im Osten nicht vorhanden, von Neuem angefangen, Kinder zu gebären. Acht innerhalb von zwanzig Jahren. Und musste sich bis heute nicht für die Flucht vor den eigenen Kindern verantworten. Wird nicht zur Rechenschaft gezogen, vor Gericht gezerrt und für ihr Verbrechen bestraft. Ist, wie sie war, bleibt, was sie wurde, eine, die sich davonstiehlt (...) Hat mit den nachgeborenen acht Kindern die zwei totgesagten zugedeckt. (...)
ich denke, dieses buch ist seine geschichte, und wird für ihn, wie für viele andere schreibende auch, eine art aufarbeitung seiner biographie sein. obwohl ich mir vorstelle, daß er mit dem erinnern und zusammenfügen seiner geschichte, mit diesen fürchterlichen tatsachen, als (mit der schwester) zurückgelassener alleingelassener, die dies nur knapp überlebt haben, auch mit be-schreiben niemals los werden wird. ich hab es in einem rutsch gelesen und konnte mich in seine gefühle so gut hineinversetzen.
Ich denke, das Buch werde ich lesen, aber sicher nicht sofort, denn über 400 Seiten sprengen gerade meinen Zeitrahmen. Der Stapel an ungelesenen Büchern ist dafür noch zu hoch
Nachdem ich mir gestern einige Kommentare zu dem Buch durchgelesen habe, sind mir zwei Dinge besonders aufgefallen:
1. Der Titel "Rabenliebe" ist ein falsch verwendetes Klischee, denn gerade (echte) Rabenvogeleltern kümmern sich besonders lange um ihren Nachwuchs. Wider besseres Wissen wurde dieser Begriff offenbar wieder einmal gezielt verwendet, um Stimmung gegen Mütter zu machen, die versagt haben. Komisch ist nur, dass grundsätzlich nur die Mutter angeklagt wird, der Vater aber außen vor bleibt. Wie das im Buch dargestellt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, aber in einem Interview (siehe unten) sagte der Autor, dass der Vater die Mutter und die beiden Kleinkinder verlassen hatte, um in den Westen zu fliehen (also vor ihr).
2. Einige Kommentatoren/Rezensenten stören sich an der Tatsache, dass das gesamte Buch eine einzige Hasstirade ist, bzw. sich als perfider Racheakt darstellt. Auch wenn sicher niemand das verteidigen kann, was diese Frau ihren Kindern angetan hat, so hat doch auch sie ein Recht auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte, denn sie ist keine strafrechtlich verurteilte Verbrecherin. Moralisch muss sie verurteilt werden, aber ihr nun die Boulevardpresse auf den Hals zu hetzen, halte ich nicht für richtig. Mich würde es sehr interessieren, ob der Autor seine leibliche Mutter je angeklagt hat. Eine derartige Anklage wäre in meinen Augen eine viel "sauberere" Lösung gewesen und sie hätte ihm und seinem Thema die gleiche mediale Aufmerksamkeit gebracht wie nun das Buch. Zusätzlich wäre es ein Signal gewesen, dass derart misshandelte "Kinder" ihre Fürsorgeberechtigten ruhig auch vor den Kadi bringen sollten, wenn diese derart fahrlässig versagt haben. Wir leben in einem Rechtsstaat und da sollte man so eine Art von Selbstjustiz eigentlich nicht praktizieren.
Hier ist noch ein Interview, das DerWesten mit dem Autor geführt hat. Darin wird auch deutlich, dass es bei diesem Buch nicht nur um die Not des verlassenen Kindes geht, sondern auch um die Ost/West-Problematik. Bei der Anmerkung des Autors, dass ja auch der Westen daran schuld ist, dass seine Mutter "rüber gemacht hat", und dadurch ihre KInder im Stich gelassen hat, habe ich dann schon an dem Sinn dieses Buches gezweifelt (Traumabewältigung). Es drängt sich mir immer mehr der Verdacht auf, dass das Buch nur zum Zwecke der gnadenlosen Abrechnung, egal mit wem, geschrieben wurde.
Ich werde das Buch heute in der Buchhandlung abholen und dann lesen. Zum Vergleich habe ich neben mir die Bücher von Ursula Burkowski liegen. Sie wurde ja Weihnachten 1953 unter ähnlichen Umständen mit ihren Geschwistern in Ost-Berlin zurückgelassen, als die Mutter sich in den Westen absetzte. Peter Wawerzineks "Rufmord" an den Raben ist mir übrigens auch sofort aufgefallen.
Ich finde auf keinen Fall ,dass man den leiblichen Eltern Vorwürfe machen darf, die damals in einem so brutalen, faschistischen Regime gelebt haben... Es ist einfach menschenverachtend, dass man diesen Menschen dort auch noch Qualen bereiten will, obwohl sie in schweren schlimmen perversen Zuständen leben mussten, und standrechtlich erschossen wurde, wenn man fliehen wollte. Ich habe für alle Opfer des kommunistischen Regimes grosses Mitgefühl, und würde sie niemals verurteilen, auch wenn meine Mama und Papi dort gelebt hätten. Ich hätte grössten Respekt dafür,das sie es überhaupt geschafft haben zu überleben trotz Androhung auf Mord und Vernichtung!!
Sauer sein ??????? Der Mann da ist sauer!!! ??? Warum denn ?????? Das mit dem Verwahrlosen war doch meistens eh nur eine Lüge um die Kids zwangsadoptieren zu können!! Ich glaube der hat keine Ahnung von der gesamten Materie...
In diesem Fall glaube ich nicht an Willkür des DDR-Regimes. Solche Sachen wurden ja viel berichtet, aber in diesen Fällen haben sich die betroffenen Mütter/Eltern hinterher gemeldet und sind auf die Barrikaden gegangen, als sie das wieder konnten. Hier aber hat sich diese Mutter nie mehr gerührt und auch jetzt beim Wiedersehen nur stumpfsinnig reagiert. Das passt überhaupt nicht zu einer "Politischen".
Warum sie damals und jetzt wieder so "abgebrüht" gehandelt hat, weiß man natürlich nicht, aber irgendwelche Mißhandlungen werden da wohl auch eine Rolle gespielt haben. Von Natur aus ist kein Mensch so grausam gegenüber seinen Kindern. Was auch immer vorher passiert ist, die hilflosen Kinder so zu gefährden ist nicht zu verzeihen, außer wegen Geisteskrankheit.
Was mich extrem wundert, ist die Tatsache, dass sie anschließend noch acht Kinder groß gezogen hat, und dabei offenbar nicht besonders negativ auffällig geworden ist. Wenn sie die ersten beiden Kinder derart brutal behandelt hat, hätte ich eher erwartet, dass sie in dem Stil weiter macht.
den eindruck hab ich auch mausi. deshalb seh ich seh es eher nicht 'politisch'.
für mich ist der buchtitel nicht ohne weiteres interpretierbar. ob er seiner mutter nur mal gegenüber stehen wollte, oder zwischen den zeilen eigene vergrabene hoffnungen an seine mutter/eltern beschreibt, die er bis dahin nie kennen lernen konnte, oder aus furcht nicht wollte. oder damit die entscheidung seiner mutter mitsamt den fürchterlichen umständen und fakten ansprechen will, die ihre beiden kinder in der wohnung sich selbst überlassen hat und sie in ihrer neuen west-familie für tot erklärte. warum hat oder konnte die eltern dieser beiden kinder sie nicht wenigstens vorher in sicherheit bringen? das wirft wirklich so einige fragen auf.
da müssen über jahrzehnte ziemlich widersprüchliche gefühle im autor getobt haben. der titel hat mich weniger angesprochen, viel mehr der versuch, mit dem was ihm widerfahren ist, fertig zu werden. aus politischer sicht seh ich es jedenfalls nicht, denn er wird vermutlich als kind nicht anderes gefühlt haben können, wie zurückgelassene besatzungskinder, deren mütter einen schlußstrich unter einen lebensabschnitt ziehen konnten um ohne sie in einem anderen land einen neuanfang zu beginnen. klar kann jeder, vor allem die presse, sich da hineinkommentieren o. interpretieren, was jedem nutzt oder eigene linien verfolgt, ob politisch oder gesellschaftlich. ihm wird aber bewußt gewesen sein, und das liegt sehr nahe, daß sich sein kindheits-trauma incl. der neueren erkenntnisse/erfahrungen mit der mutter, sich niemals durch eine anzeige oder ein gerichtsverfahren auslöschen lassen wird. gerade weil er das nicht getan hat macht deutlich, daß es ihm nicht um rache oder dergleichen ging, sondern um klärung und aufarbeitung.
vermutlich wird das schweigen seiner mutter sein trauma noch verstärkt haben, denn seine leiblichen eltern (im buch mehr die mutter) waren einfach nicht in der lage, zu ihrem früheren tun zu stehen, aufzuklären, ihre konkrete gemeinsame vergangenheit zusammen mit den verletzungen der zurückgelassenen kinder zu bewältigen. das wäre meinem gefühl nach das einzigste, das allen beteiligten erleichterung verschaffen könnte und weit heilsamer, wie eine formelle anzeige bei gericht!
er wird sich nach dem besuch seiner mutter in einer ähnlichen lage wiedergefunden haben, wie die der ehem. heimkinder, für die sich heute kaum noch jemand für die an ihnen begangenen verbrechen zuständig fühlt, geschweige sich dafür entschuldigen möchte, all das im verborgenen bleiben soll. so könnte er die begegnung mit seiner mutter (meinem eindruck nach) erlebt haben.
für mich spiegelt das buch seine persönliche enttäuschung wieder, weil selbst heute seine eltern weder zu ihrer vergangenheit, noch zu ihm stehen. gerade deshalb frage ich mich, warum adoptierte, die ähnliches wie der autor erlebt haben, dann noch in die rolle des 'allesverstehers' gedrängt werden müssen. das hieße doch, egal was einem menschen angetan wurde, es zählt später nicht mehr. daß er mit einer wahrlich schmerzlichen aufarbeitung noch meinungsmache bewirken will, sehe ich nicht so!
dennoch glaube ich, lebensgeschichten müßten mehr generationsübergreifend, im zusammenhang mit den lebensumständen der eltern und deren eltern gesehen werden, u.u. als resultat dessen. das macht zwar nichts besser, aber verständlicher. würde mich schon interessieren, wieviel von denen, deren lebenswege auf diese weise vorbelastet waren, ihren eigenen eltern verzeihen. vermutlich wird ihn, egal was er macht, sein kindheitstrauma, incl. der erfahrungen und dem treffen mit der mutter, auf irgend eine weise immer wieder einholen.
sein drama wird, ähnlich das der verschütteten bergleute in chile, oder zurückkehrenden traumatisierten soldaten, tiefe spuren hinterlassen haben. wie trauma-experten dies einschätzen: bei den betroffenen treten nach solchen erlebnissen oft posttraumatische störungen, neigung zu angststörungen, depressionen oder suchterkrankungen usw. auf. grundsätzlich seien sie in ihrem restlichen leben psychisch nicht mehr so gefestigt wie vorher, die widerstandskräfte bei späteren lebensbelastungen sind einfach nicht mehr so stark ... nichts geht spurlos an menschen vorbei.
meine achtung hat er für den mut, seine lebensstationen noch einmal aufzuzeichnen und neu ordnen zu wollen, dabei alles noch einmal durchlebt und durchleidet. das ist ja ein schmerzlicher prozess. für mein gefühl stehen da geballte seelische nöte hinter - mit sicherheit keine meinungsmache und manipulation.
ich sehe in ihm vielmehr einen menschen und seinen lebensweg, und seine verzweifelten anläufe und versuche, die mit dem zurückgelassen-worden-sein und damit auch die ihm überlassene last ein wenig leichter werden zu lassen, zumindest damit etwas ins gleichgewicht zu kommen.
mich würde allerdings die komplette geschichte interessieren, wie die eltern es aus ihrer jeweiligen sicht erlebt haben, und natürlich ihre motivation. um die, die sich ausschweigen, wird er sich wohl schon tausend gedanken gemacht haben, aber kann wohl kaum für sie stellung beziehen.
nein, wahrlich keine geschichte zur beruhigung. aber eine aus dem leben ...
ich hab eine Rezension dazu gelesen und musste spontan an manche Forumschreiber denken, die ihren Hass auf HMütter nicht verarbeitet kriegen. Gut, dass er sich das von der Seele geschrieben hat. In der Rezension steht allerdings auch, dass es einen sehr überbordenden, fülligen Schreibstil hat. Ich denke ich werds nicht lesen.
stimmt pino, der schreibstil ist etwas füllig. hat mich auch gestört. mich interessierte seine biographie, und, warum er und seine schwester einfach so zurücklassen wurden. das, und die vorgeschichte dazu fehlte.
Na immerhin hat Wawerzinek nicht den deutschen Buchpreis für sein Werk bekommen. Er befand sich ja auf der "Shortlist" der Anwärter und ich vermutete schon, dass er nach dem Bachmannpreis auch noch den Buchpreis bekommt.
@ Burkhard Was sagst Du eigentlich zu dem Buch? Hast Du es inzwischen lesen können?
Ich vermute, sie meint die Art des Autors über seine Geschichte zu schreiben.
Inzwischen habe ich mehrere Textauszüge gelesen und habe meinen ersten Eindruck nicht revidieren können. In meinen Augen ist es primär eine öffentliche Abrechnung mit seiner Mutter. Was mich brennend interessieren würde, sind die Umstände der Adoption. Warum hat die Mutter die Kinder alleine gelassen, bzw. hat sie das überhaupt? Wurde sie dazu gebracht? Warum hat der Vater vorher die Familie verlassen und hat zuerst "rüber gemacht"?