Zum Verständnis: mein Wohnort ist ca. 100 km von dem Wohnort der Problemfamilie entfernt. Da ist es 1. ein Klimmzug, zum Jugendamt zu fahren und 2. kenne ich die Familie nicht persönlich (sie mich auch nicht, aber meinen Bruder, der im Haus gegenüber wohnt). Mein Bruder hätte sich höchstens mit einer Organisation wie Caritas oder Diakonisches Werk beraten, aber zum Jugendamt möchte er auch nicht gehen, weil das zu sehr in die Zuständigkeit der Familie eingreift. Die Mutter hofft auf Hilfe durch die Schule und dass diese alles weitere in die Wege leitet. Inwieweit von dort Meldungen an die Behörden gemacht werden, weiß ich auch nicht.
Merkwürdige Haltung finde ich, da sie ja selbst Erfahrung mit diesen Dingen haben müsste, als 3-fache ledige Mutter. Bin mal gespannt, wie es weitergeht.
@martina: ich verstehe etwas nicht: warum die hemmschwelle deines bruders? er kann das doch anonym machen oder nicht? ich war selbst mal in so einer situation als in der nachbarschaft ein kind durch überforderung der eltern vernachlässigt wurde und habe das jugendamt informiert. die haben sich dann um die familie gekümmert, d.h. hilfsangebote gemacht. was allerdings daraus geworden ist weiss ich nicht, sie sind weggezogen.
ZitatMats4 schrieb: @martina: ich verstehe etwas nicht: warum die hemmschwelle deines bruders?
Mein Bruder, ein sehr hilfsbereiter Mensch, musste gerade im letzten Jahr die bittere Erfahrung machen, von Behörden ganz massiv abgekanzelt worden zu sein, die er auf einen schwerkranken Mitmenschen ohne Anhang aufmerksam machte. Er wollte diesen Herrn (inzwischen in einem Krankenhaus verstorben) in einem Heim unterbringen lassen und wurde deswegen schriftlich in drastischer Form einer ihm nicht zustehenden Einmischung bezichtigt. Mein Bruder wollte sich um den bettelarmen Mann weiter privat kümmern, aber die Behörden informierten dann nach dessen Eilieferung auch das Krankenhaus und dort begegnete man ihm auch äußerst unfreundlich, eröffnete ihm bei einem Besuch nicht einmal, dass der Kranke bereits verstorben war. Seit dem ist er mit Behörden im Zusammenhang mit anderen Leuten äußerst vorsichtig und ich kann ihn verstehen.
@martina: ich verstehe die argumentation deines bruders, ich erlebte in spanien eine sehr ähnliche situation.
mich hält das allerdings nicht davon ab, weiterhin gegen unrecht aufzustehen u./o. mich einzumischen. ich würde aber vorsichtiger oder besser gesagt, umsichtiger vorgehen.
sprach heute mit meinem Bruder, der mich besuchte. Die Geburt des Kindes wird für die nächsten Tage erwartet. Inwieweit das Jugendamt bislang einbezogen wurde, weiß er auch nicht, aber dass die 15-jährige nach der Geburt mit dem Kind zu den Eltern des Freundes/Vaters zieht (ebenfalls 15 Jahre alt). Mein Bruder sieht das als die schlechteste aller Lösungen an, weil der Freund vom gleichen Kaliber ist (mit Schule nichts am Hut, am liebsten den ganzen Tag herumgammeln). Die Mutter des Mädchens ist heilfroh, da sie das Problem für sich aus dem Weg geräumt sieht. Mal sehen, ob das Jugendamt nach der Geburt des Kindes eingreift, was eigentlich geschehen müsste, wenn allen Beteiligten eine einigermaßen gesicherte Zukunft ermöglicht werden sollte.
@Martina: Die Geschichte, die Dein Bruder erlebt hat ist natürlich bedrückend, da kann ich verstehen, dass er sich den Schuh nicht schon wieder anziehen möchte. Trotzdem scheint es mir auch spontan das "einfachste", das JA einzuschalten, wobei mich allerdings wundert (Unkenntnis), dass dieses nicht ohnehin schon von Amts wegen mit der Sache betraut ist. Natürlich ist das nicht die schönste Lösung, es wäre toll, wenn gute Nachbarschaft uund private Hilfsbereitschaft das Problem lösen könnten, aber das wäre wohl zu schön für diese Welt. Gut wäre es aber, wenn zunächst mal ein unmittelbarer Kontakt zu dem Mädchen und seiner Familie besteht, so dass man ihnen das JA nicht "von außen auf den Hals hetzt". Vielleicht kann man sie ja im Gespräch davon überzeugen, sich auf diese Hilfestellung einzulassen.
danke für Dein Eingehen auf die Problematik. Du schriebst:Trotzdem scheint es mir auch spontan das "einfachste", das JA einzuschalten, wobei mich allerdings wundert (Unkenntnis), dass dieses nicht ohnehin schon von Amts wegen mit der Sache betraut ist. Natürlich ist das nicht die schönste Lösung, es wäre toll, wenn gute Nachbarschaft uund private Hilfsbereitschaft das Problem lösen könnten, aber das wäre wohl zu schön für diese Welt. Diese Familie wohnt seit ca. 1,5 - 2 Jahren in der Nachbarschaft meines Bruders. Mein Bruder und seine Frau bemühten von Anfang an um einen nachbarschaftlichen Kontakt zu dieser Familie, aber die Mutter behielt ihre von Anfang an demonstrierte Zurückgezogenheit bei. (Vermutung meines Bruders: Sie machte in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Nachbarschaft). Nun liegen auch keine Erkenntnisse darüber vor, ob und inwieweit das Jugendamt von der Schule informiert wurde. Meiner Ansicht nach nicht, denn ansonsten könnte das Mädchen vermutlich nicht in die Familie des 15-jährigen Vaters ziehen, deren soziale Verhältnisse auch nicht optimal zu sein scheinen (Schule schwänzen usw., der Junge hält sich den ganzen Tag bei dem Mädchen auf, obwohl er wohl noch schulpflichtig ist).
Seine Informationen bezieht mein Bruder vom Vermieter der Wohnung (Bekannter der Mutter), wenn er ihn gelegentlich mal trifft. Daher ist auch künftig von sporadisch von weiteren Informationen über diesen Fall auszugehen. Einschalten in die Angelegenheit - wie mein Bruder schon einige Male anregte - will der sich auch nicht. Mein Bruder behält sich aber vor, künftig bei augenscheinlich nicht zufriedenstellendem Fortgang der Misere, eindrücklicher ein Eingreifen auf freundschaftlicher Basis zu empfehlen.
@topic: Mich frustrieren solche Fälle (& der Gedanke an die statistisch abertausende solcher Fälle, von denen ich nie etwas erfahren werde), man fühlt sich echt hilflos & irgendwie vage schuldig. Zugleich ist einem die generelle Problematik der Einmischung eben auch beständig bewusst, & zwar egal ob sie von staatlicher oder privat/nachbarschaftlicher Seite erfolgt. Eine sichere "Eingriffsschwelle" zu definieren ist gleichermaßen schwer.
Jeder kennt die Gestalt des um die bürgerliche Ordnung besorgten Nachbarn, der über "die Verhältnisse bei diesen Leuten" immer bestens informiert ist & keiner von uns möchte dieser Nachbar sein oder ihn im Haus gegenüber haben. Gerade wir kennen natürlich Geschichten wie die Historie der australischen Aborigines-Kinder, die von Staats wegen einfach den Eltern weggenommen wurden, um sie zu "richtigen Menschen" zu erziehen. - Where do you draw the line?
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zum Fall/@Martina: Zunächst einmal kann ich sagen, dass alles, was wir nach Durchsicht dieses threads für erforderlich oder mindestens hilfreich in der Situation halten würden, genau die Art von Unterstützungs- und Hilfeleistungen sind, die durch den Aufgabenbereich des Jugendamtes erfasst sind, §§ 11 ff SGB VIII. Nun mag ich derzeit ein bisschen überpositiv von Jugendämtern denken, weil ich gerade selbst so eine glückliche Erfahrung bei meinen eigenen Nachforschungen gemacht habe, aber eigentlich halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass man dort, wo immer das ist, Leute sitzen hat, die, sobald sie von so etwas erfahren, sehr gut darin sind, so eine Familie bei Gelegenheit zu besuchen & ganz vorsichtig mit der Idee vertraut machen können, sich doch einfach helfen zu lassen. Nicht zuletzt weil sie das wahrscheinlich schon viele Male gemacht haben.
Die Mittel & Leistungen sind alle da & jeder hat Anspruch darauf, alles was fehlt ist der Antrag durch eure Problemfamilie. Und wenn der Prophet nicht zum Berg ... Also, ehrlich gesagt, ich würde einfach beim JA dort vor Ort anrufen, kurz die Sache schildern & zwar nur die ganz neutralen Fakten, nicht was ich dazu denke oder davon halte. Ich denke, ich würde mich vom Ansatz her eher erkundigen als etwa zu "aktivieren". I.S.v.: wie in solchen Fällen verfahren wird? wer den Antrag stellen muss? etc. & wie sie in Fällen verfahren, in denen die Betroffenen trotz Bedarf+Anspruch selbst keinen Antrag auf die Reihe kriegen?
Ich denke aber auch, dass man ebenso z.B. kommunizieren kann: "wir möchten auch gerne selbst helfen/unterstützen, möchten aber auch nicht als übergriffig erscheinen - was würden sie uns raten?" - Es ist meine Erfahrung, dass man immer & überall das Beste in jeder Hinsicht aus den Leuten herausholt, wenn man sie um Rat fragt.
So wie ich Dich hier kennengelernt habe, Martina, wirst Du schon richtig einschätzen, ob die Verhältnisse dort nur chaotisch & vielleicht nicht musterbürgerlich aber durchaus liebevoll & gedeihlich sind, dann wären sie eben auch ihnen selbst zu überlassen, auch wenn man's selbst gerne anders sehen würde. Oder ob eben kurz- oder langfristig schlicht Not am Mann ist & Hilfe vonnöten, auch ohne dass es erst dramatisch werden müsste, & dann ist das JA die zuständige Adresse.
Zitat von ArkanautJeder kennt die Gestalt des um die bürgerliche Ordnung besorgten Nachbarn, der über "die Verhältnisse bei diesen Leuten" immer bestens informiert ist & keiner von uns möchte dieser Nachbar sein oder ihn im Haus gegenüber haben. Gerade wir kennen natürlich Geschichten wie die Historie der australischen Aborigines-Kinder, die von Staats wegen einfach den Eltern weggenommen wurden, um sie zu "richtigen Menschen" zu erziehen. - Where do you draw the line?
Da brauchst Du gar nicht so weit weg zu reisen - auch Margot Honecker wusste wie man unliebsamen Bürgern ihre Kinder wegnimmt ...
Ja genau, diese Linie wird und muss jeder für sich selbst ziehen (sofern kein Mißbrauch o.ä. offensichtlich ist).
Danke, Arkanaut, für Deine wirklich fundierten Ratschläge.
Nein, ich habe keinen Einblick in die Familie, kenne keinen der Angehörigen. Mein Bruder macht sich deshalb Sorgen, weil die 2 älteren Brüder des Mädchens weder über einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung verfügen und von HartzIV leben. Ebenfalls die Mutter hat zumindest keine Berufsausbildung und arbeitete bislang im Gastgewerbe, jetzt seit kurzem als Altenpflegehelferin. Vermutlich wird auch das Mädchen nicht angehalten, die Schule regelmäßig zu besuchen.
Von den Nachbarn macht sich einzig mein Bruder Sorgen um die Familie, alle anderen blicken darüber hinweg, obwohl in den ausschließlich Eigentumswohnungen auch Leute mit sozialen Berufen leben. Aber Deinen Vorschlag, beim Jugendamt vorsichtig nachzufragen, ob die Entscheidungen der Familie in Ordnung sind, werde ich meinem Bruder übermitteln. Damit kann ja nichts verkehrt oder kaputt gemacht werden, und er ist zumindest das bedrückende Gefühl, tatenlos zuzusehen, los. Innerhalb seines Vereins sprach er bereits mit Angehörigen vom Roten Kreuz und Pro Familia über diesen Fall, die dabei alle Hilfestellungen in Aussicht stellten, wenn sich die Familie in die Geschäftsstelle begäbe. Allerdings sahen sie keinen Anlass, von sich aus auf die Familie zuzugehen. Er bedauert, keinen vom Jugendamt persönlich zu kennen.
Sicher, diese Familienproblematiken gibt es auch in unserem Land zehntausendfach, aber meiner Ansicht nach ist jeder Fall einer zu viel und wenn man daran denkt, was aus den Kindern wird .......