mich würde mal interessieren, ob man als Adoptivkind, das noch nicht über seine wahre Herkunft aufgeklärt wurde, nicht immer mal wieder Empfindungen hat, dass irgendetwas mit einem nicht stimmt... Ungereimtheiten, die einem auffallen und die man nicht so richtig einordnen kann. Z.B. die fehlende Ähnlichkeit zum Vater/zur Mutter/zu den Großeltern; Talente, die sonst keiner in der Familie hat; Lücken in der Familiengeschichte; wie sich die Verwandtschaft einem gegenüber verhält etc.etc. Manchmal vielleicht Kleinigkeiten. Ich kann mir so gar nicht vorstellen, dass man als Adoptivkind im Laufe der Zeit nicht irgendwelche Unstimmigkeiten spürt, Ahnungen hat. Oder wird das eher verdrängt? Können Adoptiveltern so perfekt lügen, dass man wirklich nie etwas merkt? Kann mir jemand etwas dazu sagen? Babu
Hallo Babu, ich glaube, es ist im Rückblick schwer auseinanderzuhalten, welche Gedanken auf die Adoption zurückzuführen sind und welche normale Entwicklungsphantasien sind. Ich habe zum Beispiel immer die Vorstellung gehabt, meine Eltern könnten nicht meine Eltern sein und ich sei im Krankenhaus vertauscht worden (meiner Mutter ging es nach der Geburt sehr schlecht und wir waren in verschiedenen Krankenhäusern dadurch). Erst als mich eine wildfremde Frau auf der Straße ansprach und mich fragte, ob meine Mutter meine Mutter sei, ich würde ihr so ähnlich sehen (sie war nicht dabei und die Frau ware eine frühere Klassenkameradin meiner Mutter) habe ich geglaubt, dass ich wirklich ihre Tochter bin :-) Ich denke, wenn ich später erfahren hätte, dass ich adoptiert bin, hätte ich diese Gedanken als ERklärung genommen, dass ich es ja schon immer wusste... Wenn ein richtiges Lügengebilde um das Kind aufgebaut wird, könnte ich mir aber schon vorstellen, dass es das Kind spürt, dass die Eltern nicht aufrichtig sind. Gruß englandfan
Ich habe ebenfalls immer mal den Gedanken "nebenher laufen" gehabt, meine Eltern könnten nicht meine Eltern sein. Ich halte das für ein menschliches Identitätsphänomen. Ich bin nicht adoptiert.
klar, adoptierte können das (bei der herkunft die sie nicht haben) selber nicht beurteilen, sie brauchen da schon sprachrohre beruhigend wenn wenigstens andere wissen wie sie ticken
ich verstehe deinen Beitrag nicht so ganz, denn hier hat niemand versucht, das Sprachrohr von Adoptierten zu sein. Wenn du mich damit meinst - ich wollte nur eigene Erfahrungen schildern, nicht mehr und nicht weniger und vielleicht auch davor warnen, alles auf die Adoption zu beziehen. Durch den Vergleich mit den Erfahrungen von Nicht-Adoptierten stellt man an manchen Stellen fest, dass manches in der menschlichen Identitätsfindung normale Prozesse sind. Das sollte aber nicht den Adoptierten ihre besondere Situation absprechen. Aber ich weiß, dass für Kinder das Leben, das sie leben zunächst erst einmal "normal" ist und ein Bewusstsein, dass man "nicht normal" ist, sich erst später ausbildet. Daher kann ich die Schilderungen, dass man schon von Kleinkindtagen wusste, dass es etwas nicht stimmt, nicht so ganz glauben, außer eben, es ist auf Verhaltensweisen der A-Eltern zurückzuführen, was ich mir dann wieder gut vorstellen kann. Ich wüsste gerne, wie sich dieser "Fakt" bei dir geäußert hat. Ist es wirklich ein Wissen um die Adoption oder ist es eher ein Wissen um eine Störung im Verhältnis zu den A-Eltern, also die Tatsache, dass sie nicht offen und ehrlich sind oder ähnliches? Ich habe schon viel in diesem und anderen Foren gelesen und mir fällt auf, dass in den meisten Fällen diejenigen dieses Gefühl des "es stimmt was nicht mit mir" haben, bei denen die Bindung zu den A-Eltern nicht funktioniert hat, weil die Eltern das Kind vielleicht nicht so annehmen konnten, wie es eben war oder weil die A-Eltern noch zu sehr mit ihrer eigenen Geschichte zu tun hatten oder weil sie sich in einem Lügengebilde verstrickt hatten und dem Kind nicht mehr offen entgegentreten konnten. Diejenigen, bei denen der die Bindung an die A-Eltern erfolgreich war, die Vertrauen zu ihren A-Eltern haben, scheinen weniger Probeme mit ihrem Adoptivstatus zu haben. Was nicht heißt, dass nicht auch sie irgendwann auf Spurensuche gehen, weil sie wissen wollen, wo sie herkommen. Darum geht es mir nicht, sondern es geht mir um dieses extrem negative Gefühl - mein Leben ist verkorkst, weil ich adoptiert bin.
Meine Vorstellung bezüglich meines Sohnes seit dem Kennenlernen seiner Herkunftsfamilie war, dass sich der Kontakt zu uns etwas lockert, nicht mehr so intensiv ist wie früher, was ich auch als verständlich angesehen hätte. Aber zu meiner Verwunderung ist genau das Gegenteil der Fall. Er ist noch öfter bei uns als früher, zeigt sich dankbar dafür, bei uns aufgewachsen zu sein und demonstriert uns gegenüber, dass wir seine Eltern sind.
Früher als Kind konnte mein Sohn keine Ahnung davon entwickeln, adoptiert zu sein, weil er es seit frühester Kindheit wußte. Obwohl es in den Jahren so manche Auseinandersetzung gab, erklärte er nicht einmal, wir wären ja nicht seine Eltern. Dafür war er mir manchmal vor, ich könnte nicht mit Kindern und Jugendlichen umgehen, wenn ich mal nicht nach seiner Pfeife tanzte. Bei uns ging es meiner Ansicht nach zu, wie in jeder anderen Familie mit leiblichen Kindern.
@ ja babu, läuft nicht immer alles glatt im leben......
hi englandfan,
ich find das immer so schwierig zu erklären warum, aber ich würde mich wirklich nicht mit identitätsproblemen herumschlagen wenn ich sie nicht hätte. manchmal hab ich den eindruck, ich müsse mich dafür noch entschuldigen.
zwischenzeitlich beziehen sie sich allerdings mehr auf den umstand, die eigene herkunft nicht klären zu können, das macht mir biographiearbeit und aufarbeitung fast ganz unmöglich. ansonsten ist da ja nichts mehr dran zu rütteln.
ich weiß, der damaligen a-praxis steht mehr und mehr eine praktizierte offenheit INNERHALB der a-familien IM UMGANG mit den kindern gegenüber, die allerdings an mangelnden kenntnissen (?) ihrer vorgeschichten, herkunft und abgabegründe scheitern, bzw. 'dosiert' bleiben dürfte.
bei aller offenheit stoßen a-elten da an die für kinder sicher elementaren bedürfnis-grenzen, wenn nämlich diese offenheit je nach lage diesbezüglich nur begrenzt eingehalten werden kann, bzw. anfangs zu wenig informationen eingeholt, oder die möglichkeit einer 'schnelleren' auslands-adoption gewählt wurde etc.. anonyme geburten gehen ebenfalls lebenslang zu lasten, auf das konto der kinder.
die zwanghaften vergleiche mit der normalität nichtadoptierter haben es ja manchmal in sich. das kommt bei mir rüber, als könne damit die tatsächliche herkunft ausgeblendet werden. aber adoptierte werden sicherlich noch ihre unausgesprochenen probleme herumtragen.
aus heutiger sicht haben meine identitätsprobleme tatsächlich mit fehlender bindung, dem gestörten verhältnis, menschlichem unvermögen, verhalten meiner a-eltern, dem ausgegrenzt-worden-sein innerhalb der a-familie zu tun. sie hatten ein kind, und gut is... nach uns die sintflut. so war das.
naheliegend und ursächlicher ist mein desaster wohl noch mehr der damaligen vermittlungspraxis zuzuschreiben.... und ich werde einen teufel tun das als 'das war früher so' abzutun. mein leben hört nicht da auf wo neues im a-system anfing! das eine läßt sich nicht mit dem anderen aufwiegen.
das was kindern zugefügt wurde, sie zerstört hat, wirkt in irgend einer form später nach. ehem. mißhandelte heimkindern würden ansonsten total unter den tisch fallen. ob man will oder nicht macht sich, nicht bei allen aber vielen, diese kindheit später in den unterschiedlichsten lebens-bereichen bemerkbar. völlig wegwischen läßt sich das nie.
um damit auf deinen begriff verkorkst zurückzukommen. klar hat das mein lebensgefühl maßgeblich mitgeformt und verändert, auch wenn ich mich dagegengestemmt, permanent gegengesteuert habe. es ist das unterbewußtsein, in dem davon noch vieles 'lauert', und teilweise erfahrungen mit meiner h-familie.
einige jahre bin ich tatsächlich mit dem gefühl 'es stimmt was nicht mit mir' herumgelaufen. es tut keinem kind gut, wenn sein selbstwert permanent unter mißachtung elementarster bedürfnisse klein, und sein wissensdrang mit herabwürdigungen und lügen unter kontrolle gehalten wird.
mit zunehmendem alter wurde aus dem 'mit mir stimmt was nicht' mehr und mehr ein 'mit meinen a-eltern, mit dieser a-familie stimmt was nicht'.... nicht ich, sie waren es ja, die sich merkwürdig verhielten, mich ohne ersichtlichen grund ausgrenzten, nicht wertschätzten, mir immer wieder unterschwellig zu verstehen gaben 'du gehörst nicht wirklich zu uns'.
wie oft hab ich später im weiteren umfeld ähnliches erlebt sobald ich mich als adoptierte outete, bis heute (mit ganz wenigen ausnahmen). vorurteile sind einfach nicht klein zu kriegen. auch wenn sie niemand sehen und wahrnehmen will, da viel schöngeredet wird, sieht die realität dann doch noch mal anders aus.
die offenheit im umgang mit adoptierten hört spätestens da auf, wo gesellschaft anfängt, da ist sie, bis auf ein paar vorführ-adoptierte, noch nicht wirklich angekommen. ich könnte genau so gut roma, jude, wohnsitzlose, analphabetin, aidskranke usw. usw. eben alle, die es schon traf, sein - egal was, bleib ich für andere immer die mit der mysteriösen unduchsichtigen 'verruchten' herkunft. randgruppe bleibt randgruppe in unserer image-bedachten grandiosen 'integrations'gesellschaft.
heutzutage lasse ich vieles einfach nicht mehr zu, räum ich bestimmten menschen keinen platz mehr in meinem leben ein, umgehe so das problem, gezwungenermaßen. ein dauer'sieben' kann meinem gefühl nach auch nicht das gesündeste sein, führt wenn man nicht aufpaßt in eine sozialphobie. diskriminierungen sind allerdings auch nicht besser. es ist kein freies bewegen und sind brandaktuelle erfahrungen....
irgendwann hab ich (als ausgemachte randgruppen-angehörige) dann wohl aufgegeben, anderen menschen erklären zu wollen wie sehr ich mich schon als kind sehnte, darum bemühte (da mehr unbewußt) dem leben auch ohne belegbaren ursprung normalität abzuringen..... ist mir in beszug auf indentität bis heute nicht gelungen.
vielen Dank für deine ausführliche Antwort und für deinen Einblick in dein "Seelenleben". Wir stehen vor genau dem Problem, das du geschildert hast. Wir sind hoffentlich bessere A-Eltern als du sie hattest, aber wir wissen absolut überhaupt nichts und die Chance, dass wir irgendwann etwas wissen, geht gegen null, obwohl es ein Kind aus dem Inland ist. Somit können wir unserem Kind die Lücke nicht füllen, so gerne wir es auch wollten, wir können ihr nur so viel Liebe und Rückhalt wie möglich geben, um ihr diesen Verlust erträglicher zu machen bzw. um sie stark zu machen, dass sie damit umgehen kann. Daher finde ich es so wichtig, dass ich viel von euch Adoptierten lese, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie ich unserem Kind wenigstens ein bisschen helfen kann.
doch doch englandfan, ihr seid das bestimmt, das ist zu spüren wie alt euer kind ist hat du bestimmt schon mal erwähnt, und ob sie schon fragt... ne, leicht wird das für euch alle nicht sein mit nichts dazustehen. warum hat man ihr nur so radikal die herkunft genommen hoffentlich fällt sie als erwachsene nicht irgendwann ins bodenlose. liebe und rückhalt eurerseits machen den totalverlust auf jeden fall erträglicher!
würd mich sehr interessieren wie es bei euch weitergeht, sich das auf dauer auswirkt.
@bonnie (bzgl. Langtext) Ich bin einfach nur fassungslos darüber, was Adoption mit einem Menschen anrichten kann. Es ist aber gut, dass Du so offen damit umgehst, so dass andere A-Eltern und A-Bewerber mal einen Einblick in die tiefen Abgründe einer Adoptierten bekommen und sich dadurch hoffentlich anders gegenüber ihrem A-kind verhalten, damit das Leid der Kinder zumindest gelindert werden kann.
Es wäre auch zu hoffen, dass es sich gesellschaftlich, auf Drängen von A-Eltern und mit dem heutigen Wissen, durchsetzt, mehr Infos über die H-Eltern zu sammeln und dann auch herauszugeben, sofern denn eine Adoption überhaupt sein muss. (Gibt es eigentlich inzwischen genügend Hilfe für die H-Eltern, damit sie ihr Kind behalten können?)
Diese Identitätsproblematik stelle ich mir ganz heftig vor, wenn es kaum Infos gibt oder sie willentlich vorenthalten werden, auch von Seiten der Ämter. Es ist einfach menschenverachtend, wie mit A-Kindern diesbezüglich umgegangen wurde und wahrscheinlich auch noch wird. So kann man mit Menschen nicht umgehen. Gibt es eigentlich einen Verein oder so etwas, wo Adoptierte solche Forderungen öffentlich kundtun können? Oder wieviel Gehör verschaffen sie sich derzeit eigentlich?